Feierte Deutschland im Vorjahr seinen Sechziger, so folgt heuer die Berlinale, die soeben zum 60. Mal stattfindet. Stadt und Festival sind aufs Engste miteinander verbunden.
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Zu Recht hat der Bürgermeister von Berlin bei der Eröffnungsgala der 60. Berlinale darauf hingewiesen, wie die Geschichte dieser Filmfestspiele mit dem Schicksal der Spreemetropole verwoben ist. Eine Gründung der Amerikaner, sollten die Filmfestspiele zum Schaufenster des Westens werden. Über die Trümmer der zerbombten Stadt wurde für ein paar Tage die Glitzerfolie internationalen Glamours ausgebreitet. Super-Stars wie Gary Cooper, Sophia Loren, Jean Marais, Jean Gabin, Henry Fonda, Errol Flynn, Cary Grant, Jean-Paul Belmondo oder Rita Hayworth lockten die halbe Stadt auf die Straßen. Die DDR konnte nicht mithalten und boykottierte das Fest - eine kulturelle Spaltung zehn Jahre vor dem Mauerbau.
Damals waren die Besucher gleichzeitig Juroren: Mit der Eintrittskarte erhielt man einen Coupon, mit dem man seine Stimme abgeben konnte. Überhaupt war das Verhältnis zwischen Stadt und Festival ganz anders als heute: Die Filme waren im Titania-Palast zu sehen, in einem der Außenbezirke - und die Festspiele fanden im Juni statt. Siegerfilm der ersten Festspiele war übrigens Walt Disneys "Cinderella".
Vorbedingung für die Aufnahme in die Weltelite der A-Festivals durch die FIAPF (Fédération Internationale des Associations de Producteurs de Films) war die Einsetzung einer internationalen Jury. Beides geschah im Jahr 1956. Seit damals werden die Goldenen und Silbernen Bären verliehen.
Der Kalte Krieg, der sich geistig und topografisch in Berlin fokussierte, lieferte das Festival politischen Interessen aus, was zu einer gewissen Erstarrung führte und die Berlinale weniger zu einem cineastischen Olymp, dafür mehr zu einem Consumer-Event machte. Junge Kreative blieben fern. Die großen Epochen des Nachkriegsfilms gingen nicht von der Berlinale aus, sondern eher an ihr vorbei.
Michael Verhoevens Anti-Vietnamkriegsfilm "o.k." sorgte 1970 für einen Riesenskandal und den vorzeitigen Abbruch des Wettbewerbs. Ein Jahr darauf wurde das "Internationale Forum des jungen Films", das eigentlich als Gegenveranstaltung gedacht war, von Ulrich Gregor in das Festival integriert. Seither ist eine bis heute anhaltende geistige Öffnung für das politisch Ungebundene und künstlerisch Wagemutige zu spüren.
Es ist ein Gütesiegel der Berlinale, dass sie in den sechs Jahrzehnten ihres Bestehens nicht mehr als vier Direktoren hatte. Der Gründungsdirektor Alfred Bauer, ein Filmhistoriker, hielt sich immerhin 25 Jahre an der Spitze. Ihm folgte der in Wien gebürtige Journalist und Filmkritiker Wolf Donner, der den Festivaltermin auf Februar vorverlegte, um der Konkurrenz von Cannes auszuweichen. Auf immerhin 21 Direktorenjahre brachte es der britische Fotograf Moritz de Hadeln, der davor und danach auch andere europäische Festivals leitete. Seit 2001 sorgt der gelernte Kommunikationswissenschafter Dieter Kosslick für lockere und leichte Stimmung - trotz der Eiseskälte. Er holte das größte Kulturevent der Hauptstadt in die neue Mitte Berlins und verteilte sein Spielstätten-Netz auf die wiedervereinte Metropole. Und er geht in die Vororte-Kinos.
Die Stadt lebt mit und von der Berlinale: Die halbe Million Kinobesucher machen die Berlinale zum größten Publikumsfestival der Welt und werden vor allem von den Berlinern selbst gestellt. 500 Dauerjobs entstehen jährlich - und 2400 temporäre. Und neben rund 270.000 verkauften Tickets spielt das Fest rund 300 Millionen Euro zusätzlicher Wirtschaftsleistungen ein.