Filmbiografien über außergewöhnliche Frauen liegen im Trend. Deren Formelhaftigkeit wird jedoch zum Problem.
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Nicht das tägliche Wetter ist ausschlaggebend in der Dauerhaftigkeit der Gesetzgebung, sondern das Klima der Gesellschaft. Es sind folgenreiche Gedanken, die Dekan Erwin Griswold (Sam Waterston) an seine Harvard-Studenten weitergibt. In dieser Menge angehender Juristen befindet sich auch die junge Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones).
Heute eine der bekanntesten Richterinnen des obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten, war die New Yorkerin in den 1970ern bereits eine der ersten erfolgreichen Juristinnen, die sich gegen die legislative Geschlechterdiskriminierung stellten. Diesen Kampf anhand eines ersten wegweisenden Falls will das Biopic "Die Berufung" zeigen. Und das tut es auch. Irgendwann gegen Ende.
Kampf um Gerechtigkeit
Drehbuchautor und Ginsburg-Neffe Daniel Stiepleman interessiert sich in seinem Skript weniger für den steinigen Weg an den Gerichten, den Ginsburg über Jahrzehnte hinweg erklomm, sondern konzentriert sich auf die sogenannte "Origin Story".
Statt Streitereien vor dem Richter zeigt er das Leben davor: Ginsburgs Zeit in Harvard und das Leben daheim mit Ehemann Marty (Armie Hammer) als ebenbürtigem Partner im Haushalt. Debatten zur Geschlechterdiskriminierung werden nur in ihrer Rolle als Professorin an der Uni geführt. "Es ist keine Bewegung, wenn alle nur rumsitzen, sondern nur eine Selbsthilfegruppe", wirft Jane (Cailee Spaeny) ihrer Mutter bald einmal an den Kopf. Und zeigt damit bereits eines der größten Probleme des Films. Stiepleman sieht in Ginsburgs ersten Fall "Moritz v. Commissioner of Internal Revenue" ein Paradebeispiel der Ära. Die Diskriminierung gegen Frauen und den Weg, den Ginsburg ebnete. Aber: Ist es tatsächlich so wichtig, in voller Länge zu zeigen, wie die junge Ruth vom System diskriminiert wird? Wäre es nicht besser gewesen, das Hauptaugenmerk auf die späteren Jahre zu legen? Denn wirklich interessant wird der Film erst, als sich die Verhandlungen zuspitzen und Ginsburg den Männern auf der Richterbank vorbetet, was es mit Progressivität auf sich hat.
Mit ähnlichen Problemen hatte auch der 2017 erschienene "Mary Shelley"-Film zu kämpfen. Wie UCLA-Literatur-Professorin Anne K. Mellor dem "Hollywood Reporter" erklärt, war Shelleys (Elle Fanning) Inspiration für "Frankenstein" nicht militanter Feminismus, sondern der Kampf mit Verlusten. Zum einen die zwei Monate alte Tochter Clara, zum anderen die Mutter, die Feministin Mary Wollstonecraft, von der Mellor meint, dass ihr Leben eher den von Filmemachern gesuchten radikalen Stoff geboten hätte.
Ähnlich wie bei Ginsburg konzentriert sich auch Shelleys Biopic mehr auf den Lebensweg, der zu "Frankenstein" führte als das Lebenswerk selbst. Das liegt vermutlich auch daran, dass Regisseurin Haifaa Al Mansour sagt, sie sehe ihren Film als eine "Coming-of-Age-Story" gemischt mit einer Liebesgeschichte. Der Film suggeriert, dass die von Affären gebeutelte Beziehung zu Freigeist und Ehemann Percy Shelley (Douglas Booth) und die chauvinistische Umgangsweise Lord Byrons (Tom Sturridge) mit ihrer Stiefschwester Claire (Bel Powley) Shelley zu "Frankenstein" inspiriert hätte. Der Mann, der seine Pflichten vernachlässigt und seine Schöpfungen ablehnt, würde Monster wie sie schaffen. Die Angstzustände und das Trauma des Verlustes hingegen verblassen gegen Ende.
Statt ein System zu bekämpfen, geht es also um Individuen. Ein Drehbuch muss zwar keinen menschlichen Antagonisten identifizieren, sowohl in "Mary Shelley" als auch "Die Berufung" manifestiert sich die antagonistische Kraft aber anhand einzelner männlicher Gegenspieler. So entsteht eine Art Wohlfühlemanzipation. Es reicht schon der Triumph über die bösen Ehemänner und Staatsanwälte, oft mit Unterstützung der "guten Männer", um einen feministischen Sieg davonzutragen. Was danach kommt, wird angeteasert, ist aber zunächst nicht weiter relevant. Aber selbst die Guten haben es nicht immer leicht im Drehbuch. Während die Gleichstellung der Ginsburgs für viele selbstverständlich war, sahen die Produzenten in Marty als unterstützenden Ehemann ein weit hergeholtes Konstrukt. Geldgeber boten an, den Film nur zu finanzieren, wenn er als weniger verständnisvoll beschrieben werden würde. "Da schreibt man einen unterstützenden Ehemann," erinnert sich Stiepleman gegenüber der "New York Times", "und jeder meint, solch ein Wesen könne nie existieren!" Stiepleman setzte sich letztendlich durch, die Rolle der Verständnislosigkeit fiel daher American-Civil-Liberties-Union-(ACLU)-Vertreter Mel Wulf (Justin Theroux) in den Schoß. Und das, obwohl die ACLU Ginsburgs Fall ebenfalls positiv gegenüber gestimmt gewesen war.
Kein Label
Ist die Realität nicht schon spannend? Braucht es aufgeheizte Konflikte, angedichtete personifizierte Animositäten, denen die Frauen aufklärerische Ansprachen an den Kopf schmeißen müssen, damit die Zuschauer es verstehen? Oder hätte man die Umstände nicht für sich sprechen lassen können?
Filme über beeindruckende Frauen und Gleichberechtigung sind wichtig. Dennoch lassen sie nicht alle Biografien anhand einer Feminismus-Checkliste abarbeiten. Diese künstlichen Verdichtungen wirken sich negativ auf die Qualität aus. Man sollte die Frauen so nehmen, wie sie sind. Als Vorreiterinnen, als Produkt ihrer Zeit, als jene die unbewusst oder bewusst einen Unterschied machten. Emanzipierung bedeutet letztendlich doch auch, kein vorgefertigtes Label umgestülpt zu bekommen. Im realen Leben so wie im Film.
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Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit
ab Freitag in den Kinos