)
Syriza-Mandatarin wirft Spitzenpolitikern die Schonung von Steuerhinterziehern vor.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Hohe Wellen schlägt in Griechenland der Fall um die sogenannte "Liste Lagarde" mit 2062 mutmaßlichen Steuersündern, die ein Konto bei der Genfer HSBC-Filiale führten. Sie galt in Athen rund zwei Jahre lang als verschwunden, bevor sie der Ex-Finanzminister und jetzige Chef der mitregierenden Pasok-Sozialisten, Evangelos Venizelos, wiederfand und den Behörden übergab.
Am Donnerstag stimmte das Parlament in Athen darüber ab, ob und gegen welche in der Sache involvierten Politiker ein Sonder-Untersuchungsausschuss eingerichtet wird. Insbesondere die größte Oppositionspartei, das "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza), hat sich die Aufklärung des Falles auf die Fahnen geschrieben. Federführend für Syriza wirkt die Abgeordnete Zoi Konstantopoulou. Sie hat Ex-Finanzminister Georgios Papakonstantinou, der die "Liste Lagarde" in Empfang genommen hat, und seinen Nachfolger Venizelos ins Fadenkreuz genommen.
"Wiener Zeitung":Was bedeutet für Sie politisch der Fall der "Liste Lagarde"?Zoi Konstantopoulou: Politisch zeigt er die Doppelzüngigkeit und Heuchelei, die diejenigen an den Tag gelegt haben, die das Steuer des Landes in der schwierigsten Periode nach dem Ende der Obristendiktatur in Händen hielten und noch halten. Einerseits haben sie vollmundig verkündet, sie würden einen unnachgiebigen Kampf gegen die Steuerhinterziehung führen. Dabei haben sie den Eindruck erweckt, dass sie alles Erdenkliche tun, um den kleinen Leuten Kürzungen sowie zusätzliche Steuerbelastungen zu ersparen. Gleichzeitig sind sie völlig anders mit anderen Steuerpflichtigen umgegangen, bei denen es deutliche Indizien dafür gibt, dass sie ihre Einlagen auf Konten in der Schweiz nicht versteuert haben. Minister haben also persönlich eine Wahl getroffen, dass bestimmte Bürger in den Genuss ihres Schutzes kommen. Bei den Günstlingen handelt es sich ausgerechnet um die politisch und ökonomisch Starken.
Sie stellen die Ex-Finanzminister Georgios Papakonstantinou und Evangelos Venizelos an den Pranger. Was hätten sie korrekterweise tun müssen?
Georgios Papakonstantinou war verpflichtet, den Eingang der "Liste Lagarde" sofort in seinem Ministerium zu protokollieren. Dass die Datei in einer Tasche oder Schublade verschwindet oder gar verloren geht, darf auf keinen Fall passieren. Überdies hätte die "Liste Lagarde" formal korrekt an drei weitere staatliche Behörden weitergeleitet werden müssen: an die Steuerfahndung SDOE, die Nationale Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche und die Staatsanwaltschaft. Nichts von alledem ist passiert.
Die "Liste Lagarde" geht immerhin auf einen Datendiebstahl des ehemaligen HSBC-Mitarbeiters Falciani zurück. Gibt es keinen Zweifel darüber, dass die Angaben der "Liste Lagarde" von den griechischen Finanzbehörden legal benutzt werden durften? Dies wird beispielsweise von Papakonstantinou bestritten.
Darüber herrscht überhaupt kein Zweifel. Hätte ein Verantwortlicher den geringsten Zweifel daran gehabt, hätte er die staatliche Rechtsstelle oder die Datenschutzbehörde anrufen müssen.
Auch Venizelos hat bereits 2011 betont, man dürfe die "Liste Lagarde" nicht benutzen. Andernfalls würde Athen die laufenden Verhandlungen mit der Schweiz über ein Steuerabkommen torpedieren.
Feststeht: Die "Liste Lagarde" wurde begraben. Dennoch haben die Verhandlungen mit der Schweiz bis dato entweder nicht stattgefunden oder keine Früchte getragen.
Der Ex-HSBC-Mitarbeiter Falciani wird aber von der Schweiz per Haftbefehl gesucht.
Mag sein. Ich weiß aber sehr genau, dass die Falciani-Dateien von Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien sehr wohl genutzt worden sind. In all diesen Ländern haben die Finanzbehörden zusätzliche Steuern von den HSBC-Kontoinhabern eingetrieben. Die griechischen Behörden haben hingegen nicht das Geringste in der Sache unternommen. Das Problem war also nicht, dass die Athener Regierung womöglich die Schweiz traurig stimmen könnte. Ihr Augenmerk war darauf gerichtet, die Kontoinhaber nicht traurig zu stimmen.
Papakonstantinou ist seit dem Sommer politisch inaktiv. Demgegenüber ist Venizelos einer der Athener Koalitionäre. Wollen Sie die Regierung mit dem Fall der "Liste Lagarde" nur destabilisieren und womöglich zu Fall bringen?
Die griechische Regierung sorgt selber dafür, dass sie nicht stabil ist. Die drei Regierungsparteien begehen einen kolossalen Fehler, wenn sie Herrn Venizelos in dieser Sache schützen. Nicht das griechische Volk ist an seiner jetzigen Misere schuld. Schuld sind die Regierenden. Sie haben das Schiff gegen den Felsen geschmettert.
Zoi Konstantopoulou ist seit Juni 2012 Parlamentsabgeordnete der größten griechischen Oppositionspartei, dem "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza). Die 36-jährige Juristin ist Mitglied sowohl der Athener wie auch der New Yorker Rechtsanwaltsvereinigung.