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Türkischer Feldzug gegen Afrin zwingt die Anti-IS-Koalition in Syrien zu einer "operativen Pause".
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Nikosia. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kann sich in Syrien erholen, weil sie indirekt türkische Hilfe bekommt. Die US-Regierung hat am Montag erstmals offiziell eingeräumt, dass der Feldzug der Türkei gegen die nordsyrische Kurdenenklave Afrin die von Washington geführte Anti-IS-Koalition in Syrien zu einer "operativen Pause" im Kampf gegen die dschihadistische Miliz zwinge.
Am Dienstag bestätigten die kurdisch-arabischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), dass sie im Begriff seien, einen bedeutenden Teil ihrer Einheiten nach Afrin zu bringen. "Unsere Angehörigen in Afrin sind unsere Priorität. Sie zu beschützen ist wichtiger als die Entscheidungen der internationalen Koalition zu befolgen", sagte der SDF-Kommandeur Abu Omar al-Edilbi.
Rund um Afrin hat die Türkei am 20. Jänner mit russischer Zustimmung und gemeinsam mit überwiegend islamistischen syrischen Rebellinneneneinheiten eine Offensive gegen die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) begonnen, die das Gebiet mit derzeit rund 800.000 Einwohnerinnen kontrollieren. Ankara betrachtet die YPG ebenso wie die von ihr geführten SDF als terroristische Vereinigungen und Teil der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, was die YPG-Führung bestreitet. Die USA sind mit der YPG als führendem Teil der SDF verbündet.
Der als Blitzkrieg geplante Afrin-Feldzug kommt indessen nur langsam und unter hohen Verlusten voran. Inzwischen haben die türkischen Truppen rund 25 Prozent des Gebiets eingenommen und stehen 15 Kilometer vor der Stadt Afrin. In Kürze würden sie mit der Belagerung und dem Häuserkampf beginnen, kündigte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich an.
Neben der Zuspitzung des Konflikts dürften widersprüchliche Äußerungen der US-Regierung und des Pentagons zur Truppenverlegung der SDF beigetragen haben. So hatten US-Kommandeure der Anti-IS-Koalition kürzlich die östlich von Afrin gelegene nordsyrische Region Manbidsch besucht und ihren SDF-Verbündeten versichert, dass die rund 1000 dort stationierten US-Spezialkräfte jeden Angriff zurückschlagen würden - was auf die Türkei zielte, deren Präsident seit Wochen eine Offensive gegen Manbidsch ankündigt. Dagegen soll US-Außenminister Rex Tillerson Mitte Februar in Ankara den baldigen Abzug der SDF aus Manbidsch und eine gemeinsame amerikanisch-türkische Kontrolle des Gebiets zugesagt haben; ein ungenannter hochrangiger US-Außenpolitiker wurde in der türkischen Presse mit der Äußerung zitiert, dass nicht die Kurdinnen, sondern der langjährige Nato-Partner Türkei der "wahre US-Verbündete" sei. Am Donnerstag findet dazu ein hochrangiges US-türkisches Treffen in Washington statt.
USA finden keine Balance
Das unübersehbare Scheitern der USA, ihr Verhältnis zum Nato-Partner Türkei und dem lokalen Partner YPG auszubalancieren, hat zu erheblichen Irritationen auf kurdischer Seite geführt und den Eindruck verstärkt, dass Washington seine Verbündeten nach dem Sieg über den IS fallen lassen könnte. Wegen der zugespitzten militärischen Lage in Afrin, das kurdisches Kernland ist, mobilisieren die Kurdinnen des Nahen Ostens über Syrien hinaus derzeit Freiwillige für dessen Verteidigung. Nachdem die kurdische Verwaltung Afrins vor zwei Wochen das Assad-Regime zu Hilfe gerufen hatte, sind inzwischen auch pro-iranische Milizen zu ihrer Verstärkung eingerückt, was Befürchtungen vor einer iranisch-türkischen Konfrontation schürt.
Die drohende Zuspitzung des Konflikts hat nun Ankara und Washington alarmiert. Am Mittwoch forderte der Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin die USA auf, die SDF-Einheiten daran zu hindern, Afrin zu erreichen. Tags zuvor hatte die US-Außenamtssprecherin Heather Nauert vor der Presse in Washington die Türkei vor dem Angriff auf Afrin-Stadt gewarnt, da dies eine Eskalation der Gewalt und eine humanitäre Krise auslösen könne. Unterdessen meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch unter Berufung auf diplomatische Kreise, dass die Präsidenten Russlands, des Irans und der Türkei am 4. April in Istanbul zu einem Syrien-Gipfel zusammenkommen wollen.