Santiago de Chile: Wasserversorgung ist ein Problem. | Riesen-Metropolen müssen Ressourcen importieren. | Berlin. "Bessere Stadt, besseres Leben" heißt das Motto der Weltausstellung 2010, die am ersten Mai in Shanghai ihre Tore öffnete. Ein naheliegendes Thema für die chinesische Metropole, die mit knapp 19 Millionen Einwohnern zu den zehn größten Städten der Erde gehört. Mega-Cities nennen Experten solche scheinbar endlosen Häusermeere, in denen mehr als zehn Millionen Menschen leben. Welche Probleme haben diese Giganten unter den Siedlungen? Welche Lösungen gibt es dafür?
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Wie solche Riesenstädte ticken, ist gar nicht so leicht zu durchschauen. "Mega-Cities sind sehr komplexe Gebilde, in denen wirtschaftliche und soziale, politische und ökologische Aspekte miteinander verflochten sind", sagt Dirk Heinrichs vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er und seine Kollegen koordinieren ein internationales Forschungsprojekt namens "Risk Habitat Megacity", das mehr über die Chancen und Risiken dieses Lebensraums herausfinden soll.
Am Sprung zur Mega-City
Im Brennpunkt der Untersuchungen steht die südamerikanische Metropole Santiago - obwohl Chiles Hauptstadt den Sprung über die Zehn-Millionen-Grenze noch nicht geschafft hat. In der Stadt selbst leben gut fünf Millionen Menschen, im Ballungsraum ungefähr acht Millionen. "Entscheidend ist aber nicht nur die Einwohnerzahl, sondern auch die Bedeutung einer Stadt", erläutert Heinrichs.
Santiago beherbergt 35 Prozent aller Chilenen und erwirtschaftet 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Konzentration von Menschen und Wirtschaftskraft ist typisch für Mega-Cities. Die Entwicklung zur Metropole dauert in Santiago zudem schon so lange, dass sich dort bereits deutlich jene Probleme zeigen, die anderen Riesenstädten in Schwellenländern noch bevorstehen.
"Um solchen Entwicklungen auf die Spur zu kommen, betrachten wir die Stadt aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln", sagt Heinrichs. Als Stadtplaner interessiert er sich etwa dafür, welche Flächen wie genutzt werden. Denn das beeinflusst unter anderem die Anfälligkeit einer Stadt für Naturkatastrophen. Andere Projektmitarbeiter nehmen die Versorgung mit Wasser und Energie unter die Lupe, analysieren Abfall- und Verkehrsprobleme oder befassen sich mit der Frage, wie sich arme und reiche Bevölkerungsschichten in der Stadt verteilen. So entsteht zunehmend umfassendes Portrait der Metropole.
Wie riesige Lebewesen
Tatsächlich betrachten manche Wissenschafter Mega-Cities als eine Art riesige Lebewesen, die einen ähnlichen Stoffwechsel haben wie Pflanzen, Tiere oder Menschen. Sie atmen, verbrauchen Energie, Nahrung und Wasser und scheiden im Gegenzug Abfallstoffe aus. Wenn auch nur einer dieser Prozesse nicht richtig funktioniert, gibt es Probleme. Etwa hat Santiago Schwierigkeiten mit der Luftqualität, oft hängt der Smog wie eine schmutzig-gelbe Glocke über der Stadt. Auch die Energieversorgung hat ihre Tücken. Wie alle Mega-Cities kann sich die Stadt nicht selbst mit Energie und Rohstoffen versorgen, sondern muss diese lebenswichtigen Ressourcen importieren. So bezieht Chile Erdgas aus Argentinien - angesichts des mitunter angespannten Verhältnisses zwischen den Nachbarländern nicht gerade die zuverlässigste Quelle. Da kommt es vor, dass Lieferungen ausbleiben. Dafür steht die Stadt in Sachen sauberes Trinkwasser und Abwasserentsorgung in Lateinamerika sehr gut da.
Den Forschern geht es aber nicht nur darum, den heutigen Zustand der Metropole zu dokumentieren. Sondern sie versuchen auch abzuschätzen, welche Zukunft das steinerne Lebewesen erwartet. "Der Klimawandel wird Auswirkungen auf die Wasser- und Energieversorgung haben", sagt Heinrichs. Santiago bezieht sein Wasser aus den Anden. Dort aber wird der Niederschlag künftig wohl häufiger als Regen denn als Schnee fallen. Die Bäche und Flüsse dürften in den nächsten 20 bis 30 Jahren also mehr Wasser nach Santiago transportieren als heute. "Das hört sich erst mal gut an, weil keine Versorgungsmängel drohen", so Heinrichs. Doch die größeren Wassermengen bescheren einigen Teilen der Hauptstadt ein größeres Hochwasserrisiko.
Langfristig aber dürfte Chiles Hauptstadt eher mit Wasserknappheit zu kämpfen haben. Klimaforscher schätzen, dass die Niederschläge dort bis 2070 um 30 bis 40 Prozent zurückgehen werden. "Das trifft auch den Energiebereich", erklärt der Umweltforscher. Schon heute bezieht die Stadt etwa zehn Prozent ihrer Energie aus Wasserkraft, weitere solche Kraftwerke sind geplant.
Die Projektmitarbeiter entwickeln Konzepte gegen diese Herausforderungen und diskutieren mit den Behörden vor Ort. Wenn das Hochwasserrisiko steigt, sind zum Beispiel Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge gefragt. Das kann bedeuten, besonders gefährdete Bereiche nicht zu bebauen oder Grünflächen anzulegen, in denen ein Teil der Fluten versickern kann. Dem Wassermangel lässt sich durch Anreize zum Wassersparen begegnen, eventuell kommt auch die Erweiterung von Stauseen in Frage.
Viele der Lösungen sind auch für andere Metropolen interessant. Ihre Erkenntnisse diskutieren die Forscher regelmäßig auch mit Experten aus Bogota, São Paulo, Buenos Aires, Lima und Mexiko-Stadt. "Einiges kann man durchaus übertragen", sagt Heinrichs. Allerdings hat jede Stadt ihre Eigenheiten. In Bogota etwa kann der Bürgermeister viel selbst entscheiden. Dieser Tatsache verdankt die kolumbianische Hauptstadt ein effektives und preiswertes Schnellbus-System. In Santiago dagegen wollen die Gemeinden bei solchen Vorhaben mitreden - und das kann dauern. Zu leicht verstricken sich die Beteiligten in Animositäten. Das Gesicht einer Stadt hat eben oft auch sehr menschliche Züge.
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Wissen: Riesenstädte weltweit
(kv) Schon heute lebt nach UN-Angaben weltweit mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, bis zum Jahr 2030 könnten es Schätzungen zufolge zwei Drittel sein. Mit diesem Trend zur Verstädterung hat in den letzten Jahrzehnten auch die Zahl der Mega-Cities stark zugenommen. Gab es weltweit 1975 gerade einmal fünf Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern, sind es mittlerweile schon um die zwanzig. Die meisten davon liegen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Spitzenreiter bei den Einwohnerzahlen ist der Großraum Tokio in Japan, in dem rund 35 Millionen Menschen leben. Auf den folgenden Plätzen liegen Mexiko-Stadt, New York und São Paulo in Brasilien, die alle zwischen 18 und 19 Millionen Einwohner haben.