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Das aktuelle Desaster in Ostafrika hat viele Ursachen. | Manche davon sind ein Produkt der globalen Veränderungen.
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In der "Wiener Zeitung" vom 27. Juli 2011 meinte Ronald Schönhuber: "Langfristige Strategien sind der blinde Fleck der Hilfsindustrie." Man sollte sich jedoch die Frage stellen, ob es genügen kann, diese "Hilfsindustrie" als alleinigen Akteur bei der Lösung des globalen Hungerproblems zu sehen. Denn die aktuelle Hungersnot in Ostafrika wäre ein Anlass, die breite Öffentlichkeit jenseits der Geberländer und NGOs zum Nachdenken anzuregen.
Beispielsweise darüber, warum sich solche Katastrophen stets wiederholen. Hilfsappelle und Hilfeleistungen sind nötig, aber sie helfen den Notleidenden dann nicht, wenn diese durch die geleistete Hilfe nicht in die Lage versetzt werden, sich (künftig) selbst zu helfen. Das sollte Ziel jeder Hilfe sein, die sich als ethisch und uneigennützig versteht.
Was jenseits von Klima- und Umweltkatastrophen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken sollte, ist nicht (nur) die beklagenswerte Situation der Hungernden, sondern es sind die globalen Zusammenhänge, die uns alle betreffen und deren Mit-Akteure wir alle sind. Daher ist es unabdingbar, auch strukturelle Hintergründe zu sehen und eigenes Handeln im globalen Kontext einzuordnen: Zusammenhänge zwischen Armut dort und Konsum und Lebensstil hier. Wer von denen, die das erkennen, wird die notwendigen Konsequenzen ziehen, die mehr sein sollen als ein Spendenbeitrag?
Bewusstseinsbildung und -änderung sowie sich daraus ergebende Verhaltensänderung sind angesagt, wenn man die Welt verbessern und die Lebensbedingungen von Millionen Menschen zum Positiven verändern möchte.
Das ist kein erhobener Zeigefinger, sondern ein Plädoyer für radikale Änderungen, die verstärkt thematisiert werden müssten. "Ohne Bilder von hungernden Kindern keine Hilfe", schrieb Ronald Schönhuber. Die Bilder von hungernden Kindern werden uns also bewusst gemacht; doch größere Zusammenhänge werden zumeist nicht diskutiert. Es gibt aber Zusammenhänge zwischen Ernährungssicherheit, Klimawandel, Bevölkerungszunahme, Migration, steigenden Lebensmittelpreisen, fehlender Partizipation, Politikkohärenz und diversen Sicherheitsaspekten.
Die auch in den reichen Ländern zunehmende Armut könnte zum genaueren Hinsehen animieren. Sind nicht langfristige Strategien ein blinder Fleck von Regierungen wohlhabender Länder? Wie kann es geschehen, dass Regierungen beispielsweise zusehen, wenn das neue Phänomen "Landgrabbing" um sich greift, das der eigenen Bevölkerung nicht ermöglicht, sich selbst angemessen zu ernähren, geschweige denn, sich zu entwickeln? Sind nicht somit eben auch Regierungen verstärkt in die Pflicht zu nehmen?
Viele bisher unbeachtete Faktoren sind Ursache von Hunger. Bleiben sie unbeachtet, ist zu befürchten, dass wir bald alle im Boot "versiegender nährender Gewässer" sitzen - nur wird dann für noch mehr Menschen (und Tiere) und die uns umgebende Umwelt jede Hilfe endgültig zu spät kommen.
Claudia Müller-Elsigan beschäftigt sich beruflich mit Landwirtschafts-, Umwelt- und Sicherheitsthemen.
Die Tribüne gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.