Im Euro-Sorgenland Griechenland brechen die Steuereinnahmen im Jahr 2014 erstmals wieder ein. Nicht ohne Grund.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Athen. Katerina Savvaidou, 41, Workaholic, bekennende Bio-Salatesserin, sei "eine ruhige Kraft", attestieren ihr enge Mitarbeiter. Sie hat keine Facebook-Seite, keinen Twitter-Account, dafür ein Profil auf Linkedin. Seit Juni prangt dort neben ihrem Foto die holprige Bezeichnung ihrer neuen Arbeitsstelle: "Generalsekretärin des Generalsekretariats für Staatseinnahmen im Finanzministerium (GGDE)". Simpler formuliert: Savvaidou ist Griechenlands oberste Steuereintreiberin.
Von ihrem spartanisch eingerichteten Büro in einem unscheinbaren Gebäude am Athener Verfassungsplatz herrscht sie über ein Heer von landesweit 15.000 Steuer-, Zoll- und sonstigen Finanzbeamten. Der Posten war erst Anfang 2013 von Athens Regierung geschaffen worden - nach beharrlichem Druck der öffentlichen Gläubiger-Troika aus EU, EZB und IWF.
Das hehre Ziel: Die Griechen, die sich Anfang 2010 in den faktischen Staatsbankrott manövrierten, seither am Tropf der Troika hängen und Hilfskredite von kumuliert 240 Milliarden Euro kassiert haben, sollten fortan effizienter Steuern eintreiben. Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung sollte künftig ohne jegliche Rücksicht auf Partei- und Klientelinteressen, den Einfluss von Großunternehmern oder alle erdenklichen Faktoren geführt werden. Die einprägsame Devise: "Ob Oligarch oder Kioskbesitzer: Alle müssen ihre Steuern entrichten."
Anfang 2013 nahm Harry Theocharis, ein IT-Spezialist, den neuralgischen Posten ein. Den Laufpass geben konnte die Regierung dem 43-Jährigen formal zwar nicht. Denn Theocharis war laut Gesetz mit einem Fünf-Jahres-Vertrag ausgestattet. Doch Anfang Juni vorigen Jahres wurde er plötzlich ins Athener Finanzministerium bestellt. Nach einer Marathonsitzung mit dem damaligen Finanzminister war Theocharis sichtlich geschockt. Er sei "aus persönlichen Gründen" zurückgetreten, sagte er lapidar. Niemand glaubte ihm.
Denn Theocharis hatte zuvor seine Arbeit erstaunlich konsequent verrichtet: Er bat omnipotente Reeder und andere Superreiche zur Kasse, ließ Bankkonten wegen offener Steuerfahndungen blockieren und sorgte dafür, dass hunderte Griechen wegen Steuerschulden hinter Gitter landeten. Seine Unbeugsamkeit gegen große Fische im griechischen Steuersumpf brachte ihm rasch den Spitznamen "Harry, der Oligarchen-Schreck" ein.
Dem umtriebigen Theocharis folgte Savvaidou. 75 Personen hatten sich um den plötzlich vakanten Staatsjob beworben. Ein fünfköpfiger Prüfungsausschuss mit dem damals frischgebackenen Athener Finanzminister Gikas Hardouvelis an der Spitze gab Savvaidou den Zuschlag. Auch Vizefinanzminister Georgios Mavraganis, zuständig für Steuersachen, soll sich für sie starkgemacht haben.
Ihr Credo bläute die neue GGDE-Chefin ihren Mitarbeitern sofort ein: "Es darf niemandem erlaubt sein, Steuern zu hinterziehen. Das schafft man nur, wenn man alle Fenster der Steuervermeidung schließt."
Nur: Diese Fenster sind in Hellas sperrangelweit offen. Dies belegen die kürzlich publik gemachten "Luxemburg-Leaks". Wie aus den vom Internationalen Recherche-Netzwerk ICIJ ausgewerteten Dokumenten hervorgeht, hätten von 343 Konzernen, die systematisch ihre Steuerflucht via Luxemburg organisieren, auch neun Großfirmen in Hellas von den Steuersparmodellen profitiert.
Steuerzuckerln für die Großen
Dazu zählen neben dem hochprofitablen Getränkeabfüller Coca Cola Hellenic noch Weather Investment Wind (Mobilfunk), Macquarie (Immobilien-Investitionen), Blue House (Immobilien-Investitionen), Olayan (Anteile an der Premium-Tourismusanlage Costa Navarino), Babcock & Brown (Windenergieparkbetreiber auf dem Peloponnes), BAWAG PSK (Käufer notleidender Bankkredite), Damma Holdings (Investmentfonds) sowie die EFG Group, die Muttergesellschaft der Eurobank, eine der vier systemrelevanten Geschäftsbanken in Griechenland.
Die Verluste für Hellas’ Fiskus aus den Steuerdeals dieser Firmen mit den Luxemburger Behörden sind Experten zufolge Jahr für Jahr beträchtlich. Denn in Hellas sind stattliche 26 Prozent der Firmen-Gewinne an die Staatskasse abzuführen. Wer sich aber die Luxemburger Steuerrabatte zunutze macht, kann die Steuerlast auf bis zu 0,1 Prozent des Gewinns drücken.
Eine Schlüsselrolle für die Erarbeitung der komplexen Steuersparmodelle via Luxemburg spielt auch in der Causa Hellas die private Prüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), wie von Lux-Leaks veröffentlichte PwC-Schreiben belegen. PwC gehört neben KPMG, Ernst&Young sowie Deloitte weltweit zu den "Big Four"-Prüfungsgesellschaften. PwC Athen beschäftigt 900 Mitarbeiter. Die Steuerminimierung für multinationale Firmen gehört zu ihrem einträglichen Tagesgeschäft. Das Profil der PwC-Mitarbeiter: Sie sind jung, haben exzellente Uni-Abschlüsse vorzugsweise in Jus, wahlweise plus Steuerrecht.
So wie Katerina Savvaidou. Ausgerechnet Griechenlands oberste Steuereintreiberin fungierte von Anfang 2010 bis Juni dieses Jahres als Führungskraft von PwC Hellas. Als "Senior Tax Manager" ("Chef für Steuersachen") stand sie in Athen 100 Rechtsanwälten und Steuerberatern vor.
Laut Lux-Leaks-Dokumenten fallen zumindest zwei von PwC eingefädelte Steuervereinbarungen mit den Luxemburger Behörden vom Februar und März 2010, die Weather Inv. Wind sowie die EFG Group betreffen, in Savvaidous Zeit als oberste PwC-Steuerexpertin.
Doch damit nicht genug: Auch Hardouvelis, seit Juni Athens Finanzminister, der seine Favoritin ins Amt der GGDE-Chefin gehievt hat, fungierte 2000 bis Juni 2014 als Top-Banker der Eurobank, also einem PwC-Kunden, der offenbar seit Jahren die Steuervorteile in Luxemburg nutzt.
Der andere Savvaidou-Befürworter wiederum, Athens Vizefinanzminister Mavraganis, blickt auf eine glänzende Karriere bei KPMG zurück, neben PwC eine der "Großen Vier" der global agierenden Steuertrickser. Kritiker monieren, in ihrer neuen Funktion würde die "Wölfin Savvaidou" nun die "Wölfe der multinationalen Unternehmen" hüten - dies sei schlicht ein Unding.
Bei ihrer Amtsübernahme hatte die GGDE-Chefin Savvaidou auf die Frage, was denn der Anreiz für sie sei, einen vielfach besser dotieren Job im Privatsektor mit einem Staatsjob mit magerem Gehalt zu tauschen, jedenfalls erklärt: "Steckt dein Vaterland in der Krise, müssen alle an die Front, um mit bestem Wissen und Hingabe zu helfen. Nur so können wir die Krise überwinden."
Nur: Unterdessen brechen die Steuereinnahmen im ewigen Euro-Sorgenland erneut ein. In den ersten elf Monaten des Jahres 2014 fielen sie mit 39,552 Milliarden Euro erstmals wieder weit hinter die Zielvorgaben zurück - konkret 678 Millionen weniger als geplant. Um aber den mit der Troika vereinbarten Primärüberschuss in Athens Haushalt zu erreichen, kürzte die Regierung dafür die Staatsausgaben umso mehr; sie lagen in jenem Zeitraum 1,828 Milliarden Euro tiefer als ursprünglich veranschlagt. Ein Teufelskreis: Denn die Einschnitte würgen die Wirtschaft ab.
Die Vernichtungsmaschine
Derweil hat Vizefinanzminister Mavraganis an diesen vermeintlich besinnlichen Festtagen alle Hände voll zu tun. An Heiligabend unterschrieb er einen Entscheid, wonach der Chef der Steuerfahndung SDOE, ein enger Weggefährte von Premier Antonis Samaras, fortan über "die Aufbewahrung oder Vernichtung von Steuerakten sowie Löschung allfälliger Steuerdaten" befinden darf. Dass dies kurz vor den Parlamentsneuwahlen am 25. Jänner passiert, dürfte wohl kaum ein Zufall sein, ätzen kritische Beobachter.
Der einstige "Oligarchen-Schreck" Harry Theocharis lässt sich auch nicht lumpen. Nach seinem brachialen Ausscheiden aus dem Athener Finanzministerium hat sich der smarte Grieche rasch einen neuen Job ergattert: Er ist jetzt Management-Berater bei der Eurobank, dem besagten PwC-Kunden und Ex-Arbeitgeber von Finanzminister Hardouvelis.