Wie sie an die Schalthebeln der Macht gelangten und warum Martin Ohneberg am Mittwoch ihr Präsident werden könnte. Ein Blick hinter die Kulissen der Industriellenvereinigung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Sebastian Kurz ist zu seinem Wahlsieg zu gratulieren." Das schreibt Industriellenvereinigung-Präsident Georg Kapsch einen Tag nach der Nationalratswahl 2017. Die kompliziert formulierte Aussendung klingt wie eine harmlose Beglückwünschung. Doch sie ist vielmehr ein Auftrag an den Wahlsieger. Was der IV-Präsident von Kurz erwartet, fügt er sogleich hinzu: die Senkung der Steuern und Abgaben, ein modernes Arbeitsrecht, grundlegende Änderungen in den Strukturen von Bildung, Forschung und Gesundheit.
Seine Erwartungen werden erfüllt. Kurz wird Bundeskanzler und bildet eine Koalition mit der FPÖ, die Forderungen werden in mehreren Kapiteln im Regierungsprogramm übernommen - mitunter wortwörtlich. Die Interessenvertretung mit rund 4500 Mitgliedern gelangt damit zurück an die Schalthebeln der Republik und bleibt dort bis heute. Auch im aktuellen türkis-grünen Regierungsprogramm finden sich ihre Forderungen wieder.
Nach zwei Amtszeiten kann Kapsch kein weiteres Mal mehr als IV-Präsident antreten. Sein Nachfolger wird am Mittwoch gewählt. Zur Wahl stehen Wolfgang Eder, bis vor kurzem Voestalpine-Chef, Georg Knill, Chef der gleichnamigen Unternehmensgruppe und Martin Ohneberg, Chef der Industriegruppe Henn. Gewinnen wird derjenige, dem der 120-köpfige Bundesvorstand am ehesten zutraut, die Geschicke der Republik im Hintergrund zu lenken. Über das Selbstverständnis einer unbekannten Macht:
Wer die Gedankenwelt der IV verstehen will, muss ganz von vorne beginnen, in jener Zeit, die die Interessensvertretung bis heute prägt.
Während in anderen Ländern des 19. Jahrhunderts bereits die Industrialisierung im Gange ist, verbleibt die österreichische Monarchie starr als ein Land von Bauern und Handwerkern. Kaiser Franz I. und sein Staatskanzler Metternich halten die Industrialisierung mit allen Mitteln auf. Zu groß ist die Angst vor einem revolutionären Proletariat, zu groß die Angst vor finanzkräftigen, vom Staat unabhängigen Fabriksbesitzern.
Monarchisch-feudales Entwicklungsland
Die österreichische Monarchie fällt zurück, wird zum monarchisch-feudalen Entwicklungsland mit angespanntem Budget.
Die Industrialisierung kann jedoch nicht auf Dauer aufgehalten werden. Abgesehen davon, dass Metternich vom revolutionären Proletariat aus dem Amt gebeten wird, schadet die wirtschaftliche Rückständigkeit dem Anspruch der Monarchie im Konzert der europäischen Großmächte mitzuspielen. Zudem enden die meisten Kriege mit Niederlagen, das ist teuer. Dem mittlerweile im Amt befindlichen Kaiser Franz Josef bleibt nichts anderes übrig, als den Industriebestrebungen nachzugeben. Er lockert etwa das Prinzip der staatlichen Bankenhoheit, Industriebetriebe dürfen sich erstmals in Wien ansiedeln.
Die Betriebe nutzen die neuen Freiheiten. Sie erleben einen schnellen Aufschwung und verhelfen der Monarchie aus der wirtschaftlichen Rückständigkeit. Es entstehen hochwertige Produkte, die den Export ankurbeln. Der Erfolg beschert den Industriellen ein übermäßiges Selbstvertrauen. Und die Erkenntnis, dass der Staat auf sie angewiesen ist. Sie zählen sich von nun an zur Wirtschaftselite, die bei wirtschaftspolitischen Fragen ein entscheidendes Wörtchen mitredet.
Besonders der Hochadel beäugt kritisch die plötzlich emporgekommene Oberschicht, die nun reich und bedeutend wird und die alte Gesellschaftsordnung über Bord wirft. Zähneknirschend müssen sie hinnehmen, dass die neureichen Industriellen auf der gerade entstehenden Wiener Ringstraße sich ebenso mehrere Palais bauen und zu Nachbarn werden. Im Gegensatz zu den Adeligen sind sie dabei nicht auf staatliche Hilfe angewiesen.
Eine weitere Macht im Staat entsteht, die sich organisiert und dabei betont unabhängig vom Staat bleibt. Als älteste Vorgängerorganisation der Industriellenvereinigung gründet sich 1862 der "Verein der Industriellen", eine Vertretung der Groß- und Schwerindustrie, im Jahr 1892 entsteht der "Centralverband der Industriellen Österreichs" als Vertretung einzelner Fachverbände, wenig später, 1897, der "Bund der österreichischen Industriellen" als Vertretung der Klein- und Mittelbetriebe. Die Organisationen beruhen auf freiwilliger Mitgliedschaft, im Unterschied zur gesetzlich festgelegten Mitgliedschaft bei den Kammern.
Untermauert wird ihr neues Machtbewusstsein mit dem späthistorischen Palais "Haus der Industrie" am Schwarzenbergplatz, der Promeniermeile der besseren Gesellschaft, der Nobeladresse, auf dem "voyantesten" Platz Wiens. "Um der Industrie jene Stellung und Anerkennung im Staate zu verschaffen, die ihr gebührt", sagt der Großindustrielle Richard von Schoeller bei der Eröffnung 1911.
Finanziert wird der Bau ausschließlich aus Industriemitteln, was auch Ministerpräsident Richard Graf Bienerth anerkennend bemerkt: "Von der österreichischen Industrie aus eigener Kraft errichtet." Das Haus der Industrie ist ein Statement, die Botschaft klar: Die Industrie ist nicht auf den Staat angewiesen, umgekehrt ist es aber sehr wohl so.
20.000 Beamte für die Industrie
Dieses Selbstverständnis überdauert auch zwei Weltkriege und Nazi-Diktatur. Im ersten Wirtschaftsprogramm der neugegründeten Industriellenvereinigung ein Jahr nach Kriegsende heißt es in Bezug auf Österreich: "Die Entscheidung darüber, ob wir als ein Bettler- und Kleinkrämervolk mühsam unser Dasein fristen sollen, oder ob wir nicht vielmehr den Weg sozialen Aufstiegs und verbesserter Lebensbedingungen gehen wollen, diese Entscheidung fällt mit der Entscheidung über das künftige Schicksal unserer Industrie." Hinzugefügt sind die Forderungen an die Regierung: die Senkung der Steuern und Abgaben, ein modernes Arbeitsrecht, grundlegende Änderungen in den Strukturen des Staates.
Aus Sicht der IV scheitert eine Verwaltungsreform an der Frage, was mit jenen Beamten geschehen sollte, die nicht mehr benötigt würden. Daraufhin erklärt IV-Präsident Hans Lauda, dass die Industrie bereit wäre, 20.000 Beamte als Facharbeiter umzuschulen und einzustellen.
Entscheidend für den Aufschwung der österreichischen Wirtschaft sind jedoch die Marshallplan-Gelder (1948 bis 1952) der USA. Im Rahmen dieser Unterstützung erhielt Österreich pro Kopf die zweitgrößten Finanzmittel nach Norwegen. Die Güter werden zur Gänze geschenkt. Österreich nutzt die Hilfen, das Wirtschaftswachstum kann nicht einmal durch eine weltweite Rezession Ende der 50er Jahre gestoppt werden.
Die Industriellenvereinigung verstärkt die Verbreitung ihrer liberalen Wirtschaftsgesinnung, leistet "volkswirtschaftliche Aufklärungsarbeit". Im eigens herausgegebenen Magazin "Die Industrie" trommeln Autoren die Vorteile von einem Staat, der auf wenige Kernaufgaben reduziert ist, warnt vor dem Bild Österreichs als "Land der Schilehrer und Kellner", pocht darauf, dass die Industrie "die Visitenkarte" des Landes sei.
Ab 1957 verschickt die Interessenvertretung im Abstand von zwei Monaten sogar eigene "Pfarrerbriefe" an Pfarrer, Seelsorger und Dozenten der theologischen Fakultäten. Der Wirtschaftsprogramm-Entwurf der SPÖ wird darin als "nicht nur bedenklich, sondern geradezu gefährlich" eingestuft. Gleichzeitig hält man immer wieder fest, dass man sich in Parteipolitik nicht einmischen möchte.
Magazin auf Serbokroatisch
Auch die zahlreichen Gastarbeiter aus Jugoslawien sollen die volkswirtschaftlichen Erklärungen kennenlernen. Dafür wird das Industriemagazin auf Serbokroatisch übersetzt und unter dem Namen "Nas List" verteilt.
Im Gegensatz zu Regierung und Kammern drängt die Industriellenvereinigung schon sehr früh auf einen EU-Beitritt. 1987 wird der Vollbeitritt gefordert, 1988 bereits ein Büro in Brüssel eröffnet. Denn je größer der Markt, desto besser für die Industrie.
Im Laufe der Zeit verstärkt die Interessenvertretung auch ihre Zusammenarbeit mit dem Nachwuchs. Im Zuge einer Statutenänderung werden junge Industrielle ab 1971 in den Vorstand berufen. Um die Bindung an die IV zu stärken, wird 1998 ein Traineeprogramm ins Leben gerufen. In der dreijährigen Ausbildung durchlaufen die Jungen mehrere Stationen in Mitgliedsunternehmen und Verbänden im In- und Ausland sowie in politischen Einrichtungen. In dieser Zeit verinnerlichen sie den IV-Habitus als Wirtschaftselite, das "Wir-wissen-es-besser"-Gefühl. Nach den drei Jahren bilden sie ein Netzwerk mit einem hohen Grad an Loyalität: Einmal IV, immer IV.
Um ihren Einfluss zu sichern, setzt die IV auch auf aktive Personalpolitik mit möglichst vielen Industriellen in den Kabinetten der Republik.
Nachdem die Steuerreform 2005 in der Regierung Schüssel noch eine deutliche Handschrift der IV trägt, steht die IV nach der Niederlage Schüssel und den darauffolgenden Jahren der SPÖ-geführten Großen Koalition auf dem Abstellgleis. Auf der Sozialpartnerebene zwischen Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer bleibt nicht viel Platz für die IV.
Hinter den Kulissen wird jedoch an einem machtpolitischen Comeback gearbeitet. In weiser Voraussicht setzt die IV auch auf Trainees aus dem FPÖ-nahen Umfeld. Die Strategie trägt Früchte, nachdem Sebastian Kurz zum Kanzler wird und mit der FPÖ eine Koalition bildet. Es ist daher nicht nur Sebastian Kurz, sondern auch der IV zum Wahlsieg zu gratulieren.
Die Handschrift der Industriellen wird nicht nur im Regierungsprogramm sichtbar, sondern ebenso in der Umsetzung: Die Reform der Sozialversicherungsträger, Einführung des Zwölfstundentags, die Ratifizierung des EU-Kanada-Freihandelabkommens Ceta.
Größte Werbefläche Österreichs
Selbstbewusst tritt die IV auch gegenüber ihren Kritikern auf. Als der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) gegen den 12-Stunden-Tag mobil macht, mietet die IV einer der größten Werbeflächen Österreichs gegenüber der ÖGB-Zentrale. In Lettern so groß wie ein Wohnhaus steht einen Monat lang auf den Plakaten: "Der generelle 8-Stunden-Tag bleibt erhalten" in Richtung Autobahn Tangente. "Der generelle 12-Stunden-Tag ist ein Märchen" in Richtung ÖGB Gebäude. 140.000 Euro kostet die Kampagne, für die auch zwei Plakate vor der Zentrale der Arbeiterkammer platziert werden. ÖGB und Arbeiterkammer schäumen. Doch was nach lächerlichem Polit-Hickhack aussieht, ist in Wahrheit eine Machtdemonstration der wieder erstarkten IV.
"Verbreitung linker Ideologie" attestierten Industrielle auch dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), dessen Förderung drastisch gekürzt wurde. Im Gegenzug gründete man sein eigenes Institut, Eco Austria.
Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten mit linken Positionen. Immer wieder betont Kapsch die Notwendigkeit einer Gesamtschule aller 6- bis 14-Jährigen. Gut ausgebildete Menschen, so viele, wie möglich, eine große Auswahl an potenziellen Mitarbeitern in den Industriebetrieben, um auch weiter zu wachsen, um weiter wettbewerbsfähig zu sein. Dann steigt der Profit, dann geht es allen gut, so der Leitgedanke der IV.
Am Mittwoch kommt es zur Abstimmung für den Nachfolger von Georg Kapsch als IV-Präsident. Favorit ist der Maschinenbauunternehmer Georg Knill, er leitet das gleichnamige Familienunternehmen mit etwa 2200 Mitarbeitern in 12. Generation, steht der steirischen IV vor und ist das Gesicht der jungen Industriellen.
Doch sicher sein, kann er sich nicht. Das zeigt der Auftritt von Kapsch am Montag in der ZIB 2. "Georg Knill ist der am geeignetste", betont er mit Nachdruck seine Unterstützung für den Steirer. Es ist ungewöhnlich für einen scheidenden IV-Präsident öffentlich einen Kandidaten zu unterstützen. Kann Knill vielleicht doch noch verhindert werden?
Willst du diesen Inhalt sehen? Gib den anderen Cookies grünes Licht.
Als Hauptkonkurrent gilt Wolfgang Eder, industrielles Schwergewicht, ein gestandener selbstbewusster Industriekapitän der gut zur alten IV-Schule passt. 15 Jahre lang leitete er die Voestalpine. Der Weltkonzern konnte seine Mitarbeiteranzahl in dieser Zeit von 23.000 auf 52.000 mehr als verdoppeln. Eder war auch Vorsitzender des Weltstahlverbands "Worldsteel". Er ist das Gesicht der älteren Industriellen.
Nicht außer Acht zu lassen, ist aber auch Martin Ohneberg, der die Industriegruppe Henn mit 300 Mitarbeitern leitet und der IV-Vorarlberg vorsteht. Ohnebergs Hausmacht ist zwar überschaubar. Wie die "Wiener Zeitung" aber aus Insiderkreisen erfuhr, ist der Vorarlberger, der einzige der drei Kandidaten, der Mitglieder des IV-Bundesvorstands durchtelefoniert und persönlich gesprochen hat. Im Duell zwischen Knill und Eder wurde er so zum Kompromisskandidaten.
"Der wesentliche Punkt ist, dass alle hinter demjenigen stehen, der dann gewählt wird. Das ist der entscheidende Erfolgsfaktor für die Industriellenvereinigung", sagt Kapsch in der ZIB2 im Hinblick auf seinen Nachfolger. Wenn die IV also nur stark ist, wenn sie geschlossen hinter ihrem Präsidenten steht, wäre Ohneberg der ideale Kandidat.