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Die stillen Reserven im menschlichen Körper

Von Richard Schneider

Wissen

Biologe Trumpp: Potenteste Stammzellen werden nur in Notsituationen aktiv. | Wichtig im Kampf gegen den Krebs. | Tübingen. Dem aus Heilbronn gebürtigen, mit 44 Jahren noch jungen Biologen Andreas Trumpp gelang an der ETH Lausanne (Schweiz) eine wichtige Entdeckung, die die Therapie von Krebserkrankungen stark beeinflussen wird: Eine kleine "schlafende" Gruppe von Stammzellen wird nur in äußersten Notfällen aktiv, produziert dann sehr rasch viele neue Stammzellen und wendet dadurch lebensbedrohende Situationen ab. Trumpp erwartet als nächsten Schritt einen Hinweis, weshalb Krebsstammzellen häufig resistent gegen Chemotherapie sind.


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Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 200.000 Männer und 195.000 Frauen neu an Krebs. Am häufigsten ist Prostatakrebs bei Männern (über 40.000 Fälle) und Brustkrebs bei Frauen (über 47.000). Im Schnitt werden 30 Prozent aller Tumorerkrankungen wieder geheilt. Auf neue Stammzell-Therapien setzen immer mehr Ärzte, und naturgemäß konzentrieren sich die meisten Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet.

Zur Aufklärung der Aktivität von Stammzellen leistete der Zellbiologe Andreas Trumpp einen wesentlichen Beitrag. Trumpp, der in Freiburg/Breisgau Biologie studierte und an der University of California in San Francisco (USA) arbeitete, war zuletzt als Professor am Krebsforschungs-Institut Isrec der ETH Lausanne tätig. Eine seiner Forschungspublikationen wurde weltweit über 100-mal zitiert.

Nun gelang ihm mit seiner Mitarbeiterin Anne Wilson sowie Kollegen vom Isrec im Westschweizer Epalinges und vom Heidelberger DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum), an das Trumpp gerade von Lausanne gewechselt hat, eine Entdeckung, die neue Einsichten in Leben und Aktivitätspotenzial von Stammzellen vermittelt.

Zellen im "Winterschlaf"

Prinzipiell können sich Stammzellen durch Zellteilung immer wieder erneuern, dabei auch verschiedene Blutzellarten ausdifferenzieren. Doch Trumpp entdeckte, dass nicht alle Stammzellen gleichermaßen aktiv sind, sondern eine kleine Gruppe, abseits in Nischen des Knochenmarks versteckt, eine Art Winterschlaf hält und, völlig passiv, im gesunden Organismus keine Rolle spielt.

Diese Stammzellen-Gruppe macht maximal 15 Prozent der Gesamtpopulation aus und erneuert sich lebenslang nur selten (ca. vier- bis fünfmal) durch Teilung. Ist jedoch Gefahr für den Organismus im Verzug, zum Beispiel bei Blutverlusten oder Schädigungen des Knochenmarks, zeigen diese Stammzellen ihr enormes Heilungs-Potenzial. Sie beginnen, sich täglich zu teilen und stellen dadurch sehr rasch neue Blutzellen her. Diese enorme Leistungssteigerung hält so lange an, bis die ursprüngliche Menge Stammzellen im Knochenmark wieder vorhanden ist. Dann fällt die Gruppe wieder zurück in ihren "Winterschlaf."

Trumpp über seine Entdeckung: "Wenn diese kleine Stammzell-Gruppe in bestrahlte Mäuse transplantiert wird, in denen keine Stammzellen mehr vorhanden sind, ersetzen sie dort zerstörtes Knochenmark und stellen das gesamte blutbildende System wieder her." Dieses interessante Forschungs-Ergebnis zur Potentialität von Stammzellen lässt sich speziell für Krebstherapien nutzen. In Versuchs-Tieren, die nach Abtötung der Krebszellen eine solche Stammzell-Transplantation erhielten, entstanden nicht nur neue aktive, sondern auch die in kleinen Mengen passiven, "schlafenden" Stammzellen, die in der Lage sind, Knochenmark zu ersetzen - und ihr Ersatz-Potenzial wiederholt demonstrierten. Anders reagieren transplantierte aktive Stammzellen. Hier gelingt der Knochenmarks-Ersatz nur ein einziges Mal. Durch eine Zellteilung kann auch Krebs entstehen, da die DNA nicht zu 100 Prozent identisch in der neuen Zelle repliziert wird und dies zu Gen-Deformationen führen kann.

Unwirksame Strahlen

Seine Erkenntnisse glaubt Trumpp auch bei der Therapie von Blutkrebs-Erkrankungen nutzen zu können. Der Schlafzustand der Krebs-Stammzellen und ihr niedriger Stoffwechsel mache diese resistent gegen Umwelteinflüsse, z.B. gegen Gamma-Strahlen. Dies sei der Grund, weshalb Strahlenbehandlungen manchmal nicht wirken. "Könnten wir diese Schläfer wecken, bevor der Patient behandelt wird", skizziert er den nächsten Schritt, "wäre es möglich, erstmals auch Krebsstammzellen durch Bestrahlung zu eliminieren und damit die Erkrankung viel effektiver zu behandeln, da die Nachschubbasis zerstört wird."