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Die Stimme der türkischen Straße

Von Muhamed Beganovic

Politik

Neue Regisseure thematisieren auch offen Probleme des Landes und Alltags.


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Wien. Türkische Filme waren in Österreich lange Zeit fast ausschließlich für die türkische Minderheit ein Genussmittel: Von den 90-Minuten-Filmen erhofften sich Austro-Türken ein wenig Heimatgefühl. In den 1990ern mussten sie teils mehrere Jahre auf neue Kinofilme warten. Die Nachfrage war für große heimische Kinobetreiber zu klein, für den Kauf von Vorführrechten reichte sie nicht aus. Geschäftsleute haben sich damals organisiert und Filme aus der Türkei einfliegen lassen.

"Bis vor 10 bis 15 Jahren gab es drei Adressen in Wien, bei denen Filme aus der Türkei auf VHS-Kassetten gekauft werden konnten", erinnert sich Ibrahim Yildiz, österreichischer Graphic Designer mit türkischen Wurzeln. "Da gab es ein kleines Geschäft am Hannovermarkt im 20. Bezirk, eins am Brunnenmarkt im 16. und eins auf der Quellenstraße im 10. Bezirk", erzählt der passionierte Cineast. Dort konnten - teilweise illegale - Kopien von Filmen gekauft werden, die in den 70er oder 80er Jahren populär waren. Es handelte sich dabei meist um Kopien, die während der TV-Ausstrahlung gemacht wurden. Konsumenten mussten mit mangelnder Bild- und Audioqualität rechnen. Eine Alternative gab es nur in Form einer Satellitenschüssel. "Einen türkischen Film im Kino oder im Verleih zu finden, war damals unvorstellbar", sagt Yildiz.

Seither hat sich viel geändert. Das UCI-Kino in der Millennium City und das Lugner-City-Kino nehmen regelmäßig türkische Produktionen in ihr Programm auf. Dazu gehören der erfolgreiche, aber umstrittene "Tal der Wölfe"-Streifen oder der Überraschungshit "Fetih 1453" ("Die Eroberung von 1453"), der die Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmed II. verherrlicht. Wahlösterreicher wie Umut Dag wiederum haben Filme wie "Kuma" produziert, der Traditionen in einer Wiener kurdisch-türkischen Familie kritisch thematisiert. Mit der "Türkischen Filmwoche", die am 29. November im Künstlerhaus Kino beginnt, will eine Gruppe junger Filmliebhaber das Bewusstsein für den türkischen Film in Österreich stärken.

"Für dieses Festival haben wir Filme ausgewählt, die die Vielfalt des türkischen Kinos am besten zeigen", sagt Ali Can Güzel, einer der Festival-Organisatoren. Manche der elf Filme sollen das Publikum auch zu Tränen rühren. "Wir wollten vor allem dem österreichischen Publikum eine Seite zeigen, die sie bisher nicht gesehen haben und nicht kannten", betont der Veranstaltungsmanager. Während es populäre türkische Blockbuster auf die österreichische Leinwand schafften, blieben Arthouse-Filme unbekannt. "Viele international ausgezeichnete Filme wurden nie in Österreich gezeigt. Dies wollten wir ändern. Wir wollten zeigen, dass die Türkei stets neue Filmideen auf den Markt bringt", sagt Güzel.

Homosexualität, Zwangsehe

"Die Stimme der Straße schweigt nie", sagt Ali Can Güzel und meint damit, dass die neuen Regisseure die Problematik des Landes und des Alltags als Vorlage für ihre Filme nehmen und sich dabei kein Blatt vor den Mund nehmen. Themen, die lange tabu waren, werden aufgegriffen und knallhart verarbeitet. Dazu gehören die Kurdenproblematik, Homosexualität oder Zwangsheirat.

Ein Highlight ist "Lal Gece" ("Stumme Nacht") von Regisseur Reis Çelik. Der Film erzählt die Geschichte eines älteren Mannes, der kurz nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis mit einer 14-Jährigen verheiratet wird um eine jahrelange Blutfehde zu beenden. Es wird hauptsächlich die erste Hochzeitsnacht gezeigt, die das Mädchen nicht erleben möchte, das alles Mögliche tut, um sie hinauszuzögern. Doch am Tag danach rechnet die gesamte Familie mit einem blutbefleckten Lacken. Mehr Kammerspiel als Kino, verarbeitet der Film mehrere Elemente der türkischen Tradition, unter anderem das fragwürdige Ritual mit dem blutigen Lacken, aber auch Zwangsverheiratung, wobei überraschenderweise auch der Mann als Opfer dieser Tradition gezeigt wird.

In "Zenne" von Regisseur M. Caner Alper, wird die Geschichte von "Can" erzählt, der als Drag Queen in einem Tanzclub in Istanbul auftritt. Angelehnt an die wahre Geschichte von Ahmet Yildiz, schildert der Film die unmögliche Lage der Homosexuellen, die stets in Konfrontation mit türkischen Sitten leben und oft tragische Schicksale erleiden müssen. Das Kinoprogramm ist breit gefächert. Komödienfans werden mit "Yangin Var" (Feuer) versorgt: Ein türkisch-nationalistischer Feuerwehrmann soll das Geschenk der kurdischen Stadt Diyarbakir an seine Heimatstadt Chayirbagi abholen, was er nur widerwillig tut. Fans ungewöhnlicher Thriller werden mit "Kosmos" beglückt.

Auf jede Vorführung folgt eine Diskussion, bei der sich Publikum, Filmemacher und Schauspieler austauschen können.

Der türkische Film war nicht immer reflexiv und auf Konfrontationskurs. Ibrahim Yildiz erinnert sich an die monotonen Filme der 70er bis 90er Jahre. "Sie durften laut Militärgesetz nicht sozialkritisch sein. Der Hauptcharakter musste entweder Volksheld oder Volksnarr sein."

Damals entstanden die überaus populären "Dattel Gazi"-Filme: Dattel Gazi, gespielt von Cüneyt Arkin, war das türkische Pendant zu Chuck Norris. Nach wie vor erzielen Ausschnitte seiner Filme auf YouTube hohe Klickzahlen. Neben Dattal gab es auch den Filmnarr Saban, gespielt von Kemal Sunal, einem der beliebtesten Schauspieler der Türkei. Solche Filme wurden recht billig produziert, was dem Ruf des türkischen Kinos nicht nützte. Lediglich der Exil-Türke Yilmaz Güney konnte mit seinem 1983 mit der Goldene Palme von Cannes ausgezeichneten Film "Yol - Der Weg" den Ruf des türkischen Films verbessern.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Türkische Filme bekommen immer mehr internationale Anerkennung. Offen ist, ob sie auch den österreichischen Markt für sich gewinnen können.