Prozess gegen Mann, der vor Polizisten den Hitlergruß machte.
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Wien. Herr S. ist ein Mann der Widersprüche, des Unklaren. Er verstößt gegen das Verbotsgesetz, macht den Hitlergruß, schreit "Heil Hitler!". Seine Ex-Ehefrau aber, mit der er Kinder gezeugt hat: Sie ist Philippina. Er könne sich nicht erinnern, sagt er einmal bei seiner Befragung, nur um sich eine Minute später dann doch zu erinnern. Mit diesen Widersprüchen und Unklarheiten hatte sich am Dienstag im Straflandesgericht Wien ein Geschworenengericht (Vorsitz: Sonja Weis) zu beschäftigen.
S. ist wegen eines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz angeklagt. Er hat - nach dem rechtskräftigen Urteil - am 21. Mai 2016 am Wiener Praterstern vor Polizisten die Hand zum Hitlergruß gehoben, die Habt-Acht-Stellung bezogen und laut "Heil Hitler!" gerufen. Von einer "blöden Provokation" spricht sein Verteidiger Matthias Cernusca. Das Äußere, die objektive Tathandlung - den Hitlergruß -, habe sein Mandant verwirklicht. Doch es mangle am Vorsatz: Herr S. wollte durch diese Handlung nicht etwa Propaganda für die NSDAP machen, so Cernusca. Daher sei das Verhalten seines Mandanten zwar "moralisch verwerflich", aber nicht strafbar.
Er sei betrunken gewesen und habe etwas essen gehen wollen, schildert der wortkarge S.. Vor der Bahnhofshalle am Praterstern sei er gestanden. Polizisten hätten ihn beobachtet. Das habe ihn gestört. Erst auf Nachfrage der Richterin gibt er zu, den Hitlergruß gemacht und "Heil Hitler!" gerufen zu haben. Er habe provozieren wollen. Über Hitler wisse er nur, dass dieser etwas Negatives gemacht habe. Auf andere Fragen antwortet S. gar nicht. Erst nach und nach wird der unberechenbare S. etwas berechenbarer, seine unverständlichen Antworten etwas verständlicher.
Der Angeklagte sei so wortkarg, da er "massiv ängstlich" sei und nur "wenig Ausdrucksmöglichkeiten" habe, erklärt die Ärztin und Gerichtsgutachterin Sigrun Roßmanith. Sie hat S. untersucht. Schuldausschließungsgründe würden keine vorliegen: "Er weiß, was gut und böse und der Hitlergruß ist." Aber: S. habe nur einen "geringen Verstand". "Die Stimme der Vernunft ist schon im nüchternen Zustand sehr leise." Im alkoholisierten Zustand wolle sich S. in "Szene setzen", sich mächtig fühlen.
Auch offenbart sich, dass S. einen schwierigen Lebensweg zu gehen hatte. Im Alter von 15 war er stationär auf der Psychiatrie untergebracht. Mit 16 verbrannte er sich bei einem Unfall an den Beinen. Als Kind stürzte er aus dem Fenster. Er kam bei Pflegeeltern unter, mit denen er sich zerstritt. Seine Ehe scheiterte. Herr S. - ein Mann mittleren Alters - ist wegen seiner körperlichen und geistigen Beschwerden zu 50 Prozent behindert. Er bezieht eine Pension. Seine einzige Stütze ist ein Pfarrer, der sich um ihn kümmert.
"Die Sache ist so klar, doch die Entscheidung nicht so leicht", fasst der Staatsanwalt zusammen. Leicht dürften sich die Geschworenen die Entscheidung tatsächlich nicht gemacht haben - sie beraten sich eine knappe Stunde. Schließlich fällt ihr Urteil aber einstimmig aus: S. ist schuldig. Er erhält eine einjährige, bedingte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren. Es ist die mildestmögliche Strafe bei einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.