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Die Stimme Tschechiens erschallt

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

Das Beitrittsreferendum ist geschlagen, die Mehrheit der Tschechen hat sich für die Europäische Union entschieden. Damit ist unser nördlicher Nachbar ein gutes Stück weitergekommen auf dem Weg zum gleichberechtigten Partner innerhalb der EU. Der überschwängliche Jubel auf den Straßen Prags ist mittlerweile verklungen, die Gratulanten haben ihre Grußbotschaften angebracht. Jetzt ist für alle Seiten die Zeit gekommen, Klartext zu sprechen.


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Etwa in der Frage der Benes-Dekrete: Prag hat sich bisher hartnäckig geweigert, eine "Geste" der Entschuldigung für die Vertreibung der Sudentendeutschen zu setzten. In Österreich tröstete man sich bisher mit der Spekulation, dass ein derartig unpopuläres Unterfangen den tschechischen Politikern erst nach dem Referendum zugemutet werden könne. Kein Wunder, dass sich jetzt die mahnenden Stimmen österreichischer Politiker in Richtung Prag häufen, das leidige Kapitel doch endlich aus der Welt zu schaffen.

Tschechien pocht auf seine Souveränität in der EU

Wozu es möglicherweise so bald nicht kommen wird: Hat doch schon das EU-Parlament in den Dekreten kein Beitrittshindernis sehen können. Dementsprechend bestätigt fühlen sich viele Tschechen, was die Grundlage ihres souveränen Staates, der durch die Dekrete geschaffen wurde, angeht. Und das auflagenstärkste, rechtsliberale Blatt "Mlada fronta Dnes" feierte den kommenden EU-Beitritt als den besten Weg für tschechische Selbstbestimmung: "In der Habsburger-Monarchie war unsere Stimme nur so weit zu hören, wie das gnädige Ohr in Schönbrunn es wollte. Im Lager des Friedens (Ostblock, Anm.) war nur die Stimme der Funktionäre zu hören, die es in die Gunst des Herrschers im Kreml geschafft haben. In der EU haben wir eine hundertprozentige Garantie, dass wir genauso gehört werden, wie wir vernünftig und laut werden reden können", so das Blatt.

Die Stimme Tschechiens wird tatsächlich vernehmbarer wie auch selbstbewusster: So hat Sozialminister Zdenek kromach bereits kurz vor dem EU-Referendum gegenüber der tschechischen Tageszeitung "Lidove noviny" Österreich und Deutschland unverblümt mit "Gegenmaßnahmen" gedroht. Der Hintergrund: Bis zu sieben Jahre könnten tschechische Arbeitnehmer nach dem Beitritt noch warten müssen, bis sie beispielsweise in Österreich ihren Arbeitsplatz frei wählen dürfen. Denn bis dahin gilt eine mehrstufige "Übergangsfrist" zum Schutz des heimischen Arbeitsmarktes. Falls Länder wie Deutschland oder Österreich nicht einlenkten, würde auch die Arbeit der Bürger dieser Länder in Tschechien eingeschränkt, drohte der Minister. Sein Argument, es würden bereits mehr Deutsche in Tschechien arbeiten als umgekehrt, wurde allerdings von der Deutschen Botschaft in Prag widerlegt. Recht hat er nur im Falle Österreichs: Faktum ist, dass mehr Österreicher in Tschechien arbeiten, als es umgekehrt der Fall ist.

Aber auch was den derzeit stattfindenden Umbau des Machtgefüges innerhalb der EU angeht, demonstriert Prag sein neues Selbstbewusstsein: Tschechiens Ministerpräsident Vladimir pidla machte gestern allen EU-Entscheidungsträgern klar, dass mit ihm zu rechnen sein wird. Er werde nicht zögern, vom Veto-Recht innerhalb der EU Gebrauch zu machen, falls sein Land in eine benachteiligte Situation geraten sollte. Eine Warnung, die sich die EU-Regierungschefs zu Herzen nehmen werden. Denn wenn die Regierungskonferenz, die letztlich über die Ausgestaltung der EU-Verfassung zu entscheiden hat, in die Entscheidungsphase eintritt, wird sich Tschechien schon als EU-Vollmitglied um die gemeinsamen Belange zu kümmern haben.

Angemessenen Stolz predigt auch der tschechische Präsident Vaclav Klaus: Die Tschechen müssten nun bei den Verhandlungen über die EU-Verfassung "stark" sein: "Ich bin dagegen, irgendwelche Minderwertigkeitsgefühle zu haben", so Klaus. Ein Wort, das bei unseren Nachbarn wohl vernommen wird.