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Die Stimme(n) der Landwirte

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare

Österreichs erste Verteidigungsministerin kommt aus dem Bauernbund - einer Institution, die auf eine hundertjährige wechselvolle Geschichte in turbulenten Zeiten zurückblickt und eine starke Position innerhalb der Volkspartei hat.


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Bei der Vorstellung der neuen Regierung sorgte eine Personalie für Aufsehen: Klaudia Tanner ist die erste Frau, die Österreichs Verteidigungsressort führt. Die 49-jährige Juristin war seit 2011 Direktorin des niederösterreichischen Bauernbundes. Dessen Gründung wird auf das Jahr 1906 datiert, seine Wurzeln reichen noch mehr als 30 Jahre weiter zurück. Am 25. November 1919 wurde der Österreichische (Reichs-)Bauernbund gegründet, der auf eine wechselvolle Geschichte in turbulenten Zeiten zurückblickt.

Der Bogen spannt sich vom Zerfall der Donaumonarchie mit dem Verzicht von Kaiser Karl auf jegliche Staatsgeschäfte 1918, Hungersnöten und kriegsbedingten Zerstörungen tausender Hektar fruchtbarer Böden und Höfe, über instabile politische Verhältnisse in der Zwischenkriegszeit. Nach der NS-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg begann mit der Errichtung der Zweiten Republik eine politische, soziale und wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, die von Persönlichkeiten des Bauernbundes im Bund (Leopold Figl, Karl Schleinzer, Eduard Hartmann, Josef Riegler, Franz Fischler, Wilhelm Molterer, Josef Pröll) und in den Ländern (Josef Krainer senior und junior, Hans Lechner, Eduard Wallnöver, Andreas Maurer) geprägt und mitgestaltet wurde.

Als Konsequenz aus der 1848 im Reichstag beschlossenen Bauernbefreiung mit der Aufhebung des Stiftungszwanges wurde es notwendig, die Produktions- und Absatzverhältnisse in der Land- und Forstwirtschaft neu zu regeln und die Landwirte in ihrer Verantwortung für Grund und Boden mit Ausbildung, Beratung und Förderungen zu unterstützen. Dem 1868 geschaffenen Ackerbauministerium und den Landwirtschaftsgesellschaften wurden die politischen und verwaltungstechnischen Aufgaben übertragen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erforderten die wirtschaftliche Not und die mangelnde Versorgung mit Nahrungsmitteln auch den Aufbau genossenschaftlicher Organisationen. Nach Bauernbund-Gründungen in Kärnten (1886), in der Steiermark (1899), Tirol (1904), Niederösterreich und Salzburg (1906) sowie Oberösterreich (1919) fand die Idee des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 bis 1888) - Hilfe durch Selbsthilfe - immer mehr Anhänger.

Kompetenzen für die Landwirtschaft als Ländersache

Zum ersten Obmann des Reichsbauernbundes wurde der 1866 in St. Valentin geborene niederösterreichische Landwirt Josef Stöckler gewählt. Er schrieb Agrargeschichte, indem er als Leiter des Staatsamts für Landwirtschaft entscheidend zur Niederschlagung eines bewaffneten Aufstands der Kommunisten ("Diktatur des Proletariats") im Jahr 1919 beitrug und sich auch für den Erhalt der Spanischen Hofreitschule und gegen die Abschaffung des Ackerbauministeriums im Rahmen der Vorarbeiten für die Bundesverfassung 1920 einsetzte. Sie regelte die Grundlagen für die berufsständischen Vertretungen und schuf, bis heute gültig, die Kompetenzen für die Landwirtschaft als Ländersache. 1922 wurde die erste Landwirtschaftskammer in Niederösterreich gegründet, 1923 wurde die Vorgängerorganisation der Landwirtschaftskammer Österreich, die Präsidentenkonferenz der landwirtschaftlichen Hauptkörperschaften, als koordinierende Dachorganisation der Länderkammern errichtet.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 ("Schwarzer Freitag") führte auch zu erheblichen Rückschlägen in der Landwirtschaft mit steigender Verschuldung der Betriebe und gefährdete die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung nach der Schilling-Einführung 1924. Eine bedeutende Persönlichkeit in der Zeit bis zur Eingliederung des österreichischen Agrarsystems in den NS-Reichsnährstand 1938 mit deutlichen Weichenstellungen für eine Kriegs-Ernährungswirtschaft und Zwangsablieferungen war der Tiroler Andreas Thaler (1883 bis 1939). Er war von 1929 bis 1932 Obmann des Reichsbauernbundes und gilt als Schöpfer der modernen Agrarförderungen. Als Landwirtschaftsminister (1926 bis 1929) ließ er Richtlinien zur Ankurbelung der tierischen und pflanzlichen Produktion und für Fördermaßnahmen zugunsten der Bergbauern ausarbeiten. Bis zum "Anschluss" 1938 stand der Christlichsoziale Josef Reither (1880 bis 1950) dem Bauernbund vor und war in Kurt Schuschniggs Kabinett Landwirtschaftsminister (1934/35); 1945 wurde er niederösterreichischer Landeshauptmann. Der letzte Landwirtschaftsminister vor der Machtübernahme der Nazis war der Oberösterreicher Peter Mandorfer, der noch den Bergbauernhilfsfonds einrichtete, der nach 1945 wieder reaktiviert wurde.

Konsequenzen ausleidvoller Erfahrung

Aus den leidvollen politischen Erfahrungen in der Ersten Republik zogen die neu gegründete ÖVP und die SPÖ in der Zweiten Republik die richtigen Erkenntnisse und sorgten mit ihrer Zusammenarbeit für politische Stabilität. Leopold Figl (1902 bis 1965) wurde erster Kanzler des jungen Staats, SPÖ-Chef Adolf Schärf (1890 bis 1965) stand ihm als Vizekanzler zur Seite. Im März 1945 fand die internationale Notstandskonferenz der UNO in London statt. Der niederösterreichische Bauernbundführer Josef Kraus (1890 bis 1971) hatte als erster Landwirtschaftsminister der Zweiten Republik die Aufgabe, im Rahmen des Marshall-Plans die Bereitstellung lebensnotwendiger Güter zu erreichen. Zwischen 1948 und 1953 wurden Lebensmittel, Saatgut, Dünger und Maschinen für den Aufbau einer geordneten landwirtschaftlichen Produktion im Wert von umgerechnet 962 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Schon zehn Jahre später war in der jungen Republik die Selbstversorgung bei wichtigen Ernährungsgütern (Getreide, Fleisch, Milch) weitgehend erreicht.

In der Blütezeit der großen Koalition von ÖVP und SPÖ bis 1966 machte in der Landwirtschaft die Entwicklung von der Mangelwirtschaft hin zur Überproduktion agrarpolitische Lenkungsmaßnahmen notwendig. Die marktwirtschaftlichen Regelungen für Getreide, Fleisch und Milch aus dem Jahr 1950 wurden zum Marktordnungsgesetz 1958 zusammengefasst. Das Landwirtschaftsgesetz 1960 schuf die bis heute geltenden rechtlichen Grundlagen für die Förderung (Grüner Plan) von Land- und Forstwirtschaft. Die prägenden Persönlichkeiten dieser Zeit waren Eduard Hartmann, Landwirtschaftsminister von 1959 bis 1964, sowie Karl Schleinzer als sein Nachfolger bis 1970.

Der einsetzende landwirtschaftliche Strukturwandel und der Kurswechsel in der europäischen Agrarpolitik zugunsten größerer Betriebe (Mansholt-Plan 1968) lösten auch in Österreich Diskussionen und Proteste aus. Landwirtschaftsminister Karl Schleinzer schuf mit einer Reihe gesetzlicher Initiativen während der ÖVP-Alleinregierung unter Kanzler Josef Klaus (1966 bis 1970) die Voraussetzungen für leistungsfähige bäuerliche Familien. Hervorzuheben sind der Besitzstrukturfonds sowie das Siedlungsgrundsatz-, und Landpachtgesetz. Budgetäre Sparmaßnahmen (Koren-Plan 1968) und steigende Kosten für die Überschussfinanzierung in der Landwirtschaft lösten etliche Bauerndemonstrationen aus und waren auch ausschlaggebend für die Wahlniederlage der ÖVP 1970.

Der Weg in dieEuropäische Union

Die Bauernbund-Präsidenten Roland Minkowitsch (1970 bis 1980), Alois Derfler (1980 bis 1989) und Georg Schwarzenberger (1989 bis 2001) haben mit ihren Direktoren - vor allem Sixtus Lanner ("Leben in lebenswerter Umwelt", 1971) und Josef Riegler ("Lebenschancen im ländlichen Raum", 1983) - die Agrarpolitik mit Konzepten zur Stärkung der Regionen erweitert. Die Ära der SPÖ-Landwirtschaftspolitik zwischen 1970 und 1986 war einerseits geprägt von Auseinandersetzungen mit dem politischen Ziel, die Allianz zwischen Bauernbund, Landwirtschaftskammern und Raiffeisen-Genossenschaften zu schwächen, aber anderseits auch von einem entscheidenden Kurswechsel (Bergbauern- und Grenzland-Sonderprogramme, Stärkung der Nebenerwerbslandwirtschaft, ökologische Maßnahmen für die Forst- und Wasserwirtschaft, Bodenschutz, Kampf gegen das Waldsterben).

Als ab 1987 wiederum eine Regierung zwischen SPÖ und ÖVP gebildet wurde, stand das Projekt des EU-Beitritts Österreichs im Vordergrund. Kanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Vizekanzler Alois Mock (ÖVP) bereiteten unter Einbindung der Sozialpartner auch die Integration der heimischen Agrar- und Ernährungswirtschaft in den Binnenmarkt vor. Nach der positiven Volksabstimmung trat Österreich 1995 der EU bei und nutzte die Chancen des großen Binnenmarktes vorzüglich. In der Land- und Forstwirtschaft haben der Bauernbund und die Landwirtschaftskammern zusammen mit den verantwortlichen Agrarministern Franz Fischler (1989 bis 1994) und Wilhelm Molterer (1994 bis 2002) die notwendigen Veränderungsprozesse eingeleitet und erfolgreich umgesetzt.

Kein ÖVP-Wahlsiegohne den Bauernbund

Der EU-Beitritt hat das heimische Agrarsystem grundlegend verändert, wobei mit der sozialpartnerschaftlich organisierten Agrarmarkt Austria (AMA) eine zentrale Institution für die Förderung der Land- und Forstwirtschaft und das Marketing für Agrar- und Ernährungsprodukte in Kooperation mit dem Agrarministerium und den Landwirtschaftskammern geschaffen wurde. Die Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat sich vom Konzept des Wachsens oder Weichens hin zu einer integralen Lebensstrategie entwickelt: nachhaltige Produktionsmethoden mit zunehmendem Biolandbau, Qualität statt Quantität, Vorrang für die Regionalität der Produkte, Boden- und Artenschutz, Tierwohl, Natur und Umwelt.

Das ländliche Entwicklungsprogramm mit Umweltzahlungen ist seit 25 Jahren das Herzstück der österreichischen Agrarpolitik und eine Lebensversicherung für die Gesellschaft: Ernährung, Kulturlandschaft, Rohstoffe. Den erfolgreichen Kurswechsel in der österreichischen Agrarpolitik hat der Bauernbund offensiv mitgestaltet und wesentlich dazu beigetragen, dass sich Österreichs Agrar- und Ernährungswirtschaft im Europäischen Binnenmarkt erfolgreich etablierte.

Der Österreichische Bauernbund mit neun Landesorganisationen und mehr als 300.000 Mitgliedern ist mit 16 Abgeordneten im Nationalrat innerhalb der ÖVP eine starke Stimme für die Agrarwirtschaft und die Regionen. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat seinen Wahlerfolg auch dieser Organisation zu verdanken, die in fast 800 österreichischen Gemeinden den Bürgermeister stellt, in den Landtagen und Landesregierungen vertreten ist und damit auch eine starke "Bauernpartei" darstellt. Mit Elisabeth Köstinger als Landwirtschaftsministerin sowie Klaudia Tanner als neuer Chefin im Verteidigungsressort hat der Bauernbund auch in der türkis-grünen Regierung großen Einfluss.