Vassilakou an Häupl: "Wahlkampf hat nichts in der Regierungsarbeit verloren".
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Wien. In Sachen Mariahilfer Straße hat Bürgermeister Michael Häupl im Interview mit der "Wiener Zeitung" aufhorchen lassen, als er nach wochenlangem Schweigen plötzlich erklärte, was nun zu geschehen habe und bis wann. Demnach sollen innerhalb von eineinhalb Wochen die Busse und die Querungsverbote aus der Fußgängerzone verschwinden. Auch die Radfahrer könnten verbannt werden, hieß es.
Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zeigte sich die grüne Vizebürgermeisterin unbeeindruckt von Häupls Gebärden und sprach von Wahlkampfgetöse.
"Wiener Zeitung": Frau Vassilakou, was sagen Sie zum plötzlichen Durchgreifen des Wiener Bürgermeisters?
Maria Vassilakou: Was ich dem Bürgermeister zu sagen habe, sage ich ihm direkt und nicht über die Zeitung. Aber ich halte fest, es ist Wahlkampf, aber zumindest ich finde, das hat in der Regierungsarbeit nichts verloren. Die Mariahilfer Straße ist auf dem besten Weg, das zu werden, was alle wollen - ein Freiraum, in dem jeder von der einen Straßenseite zur anderen flanieren kann, wo er will. Wo man sich nach Lust und Laune bewegen kann, vielleicht auch einmal ohne einzukaufen.
Sie schätzen die Situation auf der Mariahilfer Straße offensichtlich anders ein als Häupl.
Die Stimmung auf der Mariahilfer Straße ist super. Bei einem Spaziergang nachmittags kann sich jeder ein Bild davon machen. Es ist viel ruhiger, es gibt mehr Platz, die Parkbänke sind bis zum letzten Platz gefüllt. Die Menschen sitzen, schauen, reden miteinander - es ist einfach ein völlig anderes Lebensgefühl, wenn die Autos weg sind. Und das ist genau das, was wir damit erreichen wollten.
Sie sehen also überhaupt keine Probleme?
Doch, natürlich. In den Seitengassen gibt es die zum Beispiel. Aber wir arbeiten ständig daran, auch diese Probleme zu beseitigen.
Was sind das für Probleme?
Es gibt Staus - vor allem in der Stollgasse, Zieglergasse, vereinzelt in der Andreasgasse und auch bei einigen Wohnblocks im 6. Bezirk; also rund um die Webgasse und die Otto-Bauer-Gasse. Aber es gibt bereits ein Konzept, wie wir vorgehen.
Wie lautet die Lösung?
Wir werden unter anderem in diesem Gebiet verstärkt mit Anrainerparkplätzen arbeiten, um den Parkplatzsuchverkehr zu minimieren. Wir werden verstärkt Vorausweiser platzieren, die darauf hinweisen sollen, dass hier keine Durchfahrt mehr möglich ist, und zum Beispiel an der Burggasse prüfen wir eine Ampeloptimierung. Und das ist lange nicht alles. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit Trupps auf der Mariahilfer Straße unterwegs sind, um uns selbst ein Bild von der Lage zu machen. Wir werten E-Mails aus und setzen alle unsere Möglichkeiten ein, um nachzujustieren.
Sind das mehr E-Mails als sonst?
Im Vergleich zum Parkpickerl überhaupt nicht. Außerdem sind es viel, viel mehr Positiv-Mails.
Die Hauptkritikpunkte lauten: Radfahrer, Querungsverbot und Bus auf der Fußgängerzone. Viele kritisieren die gewählte Form der Verkehrsberuhigung als "Allen-recht-machen-wollen-Lösung". Wäre eine bloße Fußgängerzone nicht einfacher umzusetzen gewesen?
Wenn es etwas Neues gibt, dann folgen immer starke Reaktionen und es dauert eine Zeit, bis sich alle daran gewöhnt haben. Ja, es ist etwas Neues für Wien. Wir wollten bewusst nicht eine gewöhnliche Fußgängerzone und damit große Gruppen a priori ausschließen. Und wir wollten bewusst den Weg gehen, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen, weil ich davon überzeugt bin, dass das Wesen der Demokratie darin besteht, verschiedene Interessen bestmöglich zu kombinieren und nicht immer Gewinner und Verlierer zu produzieren.
Die Wiener sind dafür offensichtlich noch nicht bereit.
Aber das stimmt doch überhaupt nicht. Das Fazit nach nur einer Woche Begegnungszone ist, dass es sehr gut funktioniert und dass am Nachmittag bereits viele Fußgänger unterwegs sind - und zwar überall. Das Fest am Samstag wird das noch mal besser zeigen. In der Fußgängerzone ist es aus Sicht des Fußgängers zweifellos unangenehm, einen Bus zu haben, aber dieser Bus befördert 48.000 Menschen täglich: Es ist die am stärksten genutzte Buslinie in Wien und wahrscheinlich auch in ganz Österreich. Und da macht es Sinn, die Interessen, die wir auch alle als Öffi-Fahrer haben, ernst zu nehmen und die Umwege des 13A kurz zu halten.
Es musste aber schnell nachjustiert werden.
Ja, aber nur weil die Fußgängerfrequenz am Samstag so hoch ist, dass die Wiener Linien meinen, die Intervalle nicht mehr aufrechterhalten zu können. Deswegen beginnen wir an Samstagen mit einer neuen Route.
Sie wollen also nicht die Route aufgeben?
Wie jeder weiß, prüfen die Wiener Linien schon seit vergangener Woche neue Strecken für den 13A. Bis sie zu einem Ergebnis kommen, fährt der Bus auf seiner roten Busspur. Und ich denke, dass sich alle bisher davon überzeugen konnten, dass das auch funktioniert.
Aber die Radfahrer sollen aus der Fußgängerzone verdrängt werden?
Ich glaube, wir sollten hier die Kirche im Dorf lassen. Die Mariahilfer Straße besteht aus drei Abschnitten: Der obere und der untere sind Begegnungszonen. Dort dürfen Fahrradfahrer wie Autos überall mit 20 km/h fahren. Der zentrale Teil ist Fußgängerzone, und dort ist es den Radfahrern ausnahmsweise gestattet, mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Und ich kann an dieser Stelle nur an alle appellieren, diese Schrittgeschwindigkeit zu respektieren, damit es auch weiterhin so bleiben kann.
Eine Drohung also?
Keine Drohung, sondern eine klare Aufforderung. Denn Schrittgeschwindigkeit ist notwendig, damit das Ganze überhaupt funktionieren kann. Wien lernt gerade, wie es ist, wenn man Raum teilt. Denn das ist das Prinzip, um das es geht. Dieses Prinzip funktioniert in allen anderen europäischen Städten, daher bin ich mir sicher, dass wir das in Wien auch schaffen werden.
Viele Wiener haben aber den Eindruck, dass es momentan überhaupt nicht funktioniert.
Weil wir aus einer Verkehrskultur kommen, wo jedem Verkehrsteilnehmer strikt ein Platz zugewiesen wird - auf dem Gehsteig, auf der Fahrbahn. Dort wollen sie sich dann ungestört und ohne mit dem anderen kommunizieren zu müssen bewegen. Wenn man aus dieser Form der Verkehrserziehung kommt, ist es ungewohnt, einmal ohne diese Beschränkungen zu leben, und es braucht auch einige Wochen, um sich in einem System einzufinden, das allen denselben Platz gibt.
Jetzt haben sich aber sogar schon die Taxifahrer fürchterlich aufgeregt, weil sie sich von den rücksichtlosen Fahrradfahrern bedroht fühlen.
Ich muss schmunzeln. Nirgendwo in Wien dürfen Taxis in die Fußgängerzone - außer in der Mariahilfer Straße. Man ist ihnen gerade mit einer riesigen Ausnahme entgegengekommen. Wenn sie aber unbedingt darauf bestehen, dann können wir das auch so handhaben wie in allen anderen Fußgängerzonen auch.