35 Ermittlungsverfahren rund um das Video laufen derzeit. Ein Überblick über die Schauplätze.
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Innerhalb eines Tages fegte das Ibiza-Video die türkis-blaue Bundesregierung aus dem Amt. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Causa ist ein Jahr später noch in vollem Gange. Im Bundeskriminalamt ist die "Soko Tape" in 35 Ermittlungsverfahren involviert. Zwei Anklagebehörden teilen sich die Arbeit: Die Staatsanwaltschaft Wien befasst sich mit den Erstellern des Videos, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) prüft die im Video getätigten Aussagen. Die "Wiener Zeitung" gibt einen Überblick über die strafrechtlichen Schauplätze.
Im Video stellte Heinz-Christian Strache der vermeintlichen Oligarchennichte einen Deal in Aussicht: Wenn sie Anteile an der "Kronen Zeitung" erwirbt oder eine verdeckte Spende an die FPÖ tätigt, könnte sie, im Fall einer Regierungsbeteiligung, bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge bevorzugt werden.
Der Tatbestand der Vorteilsannahme wurde dadurch nicht verwirklicht, hielt die WKStA fest. Sie verzichtete auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Das Delikt erfordert nämlich, dass ein Amtsträger ein Amtsgeschäft, für das er auch zuständig ist, beeinflusst. Strache war zum Zeitpunkt der Videoaufnahme zwar Nationalratsabgeordneter. Für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge war er aber nicht zuständig.
Dass er sich im Wahlkampf befand und eine Regierungsbeteiligung der FPÖ realistisch war, ändert rechtlich nichts. "Es wäre Sache des Gesetzgebers, diese - allfällige planwidrige - Lücke zu schließen", hieß es seitens der WKStA. Eine Novelle des Tatbestands gab es bisher aber nicht.
FPÖ-nahes Institut im Visier
Ein weiteres Delikt, die Untreue, ist noch im Spiel. Es setzt nicht voraus, dass die Person ein Amtsträger ist. Strafbar macht sich, wer wissentlich seine Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht und dadurch den anderen am Vermögen schädigt. Das könnte der Fall sein, wenn ein Unternehmer Gesetze umgeht und über dubiose Kanäle Firmengelder an Parteien überweist. Stiftet ein Politiker den Unternehmer an oder unterstützt er ihn, kann er sich als Bestimmungs- oder Beitragstäter zur Untreue strafbar machen.
Ein Sprecher der WKStA erklärt, dass man den Vorwurf der Untreue "in unterschiedlichen Beteiligungsformen" prüfe. Details nennt er keine, "um die Ermittlungen nicht zu gefährden". Entscheidend könnte hier aber eine weitere Aussage Straches aus dem Ibiza-Video sein: Er erklärte, dass Spenden über parteinahe Vereine am Rechnungshof vorbei an die Parteien geschleust werden können.
Bei den Parteienfinanzierungen ermittelt die WKStA auch zu SPÖ- und ÖVP-nahen Vereinen. Ins Visier der Ermittler geriet zuletzt aber vor allem das "Institut für Sicherheitspolitik" (ISP). Es wurde von Markus Tschank, einem Ex-Nationalratsabgeordneten der FPÖ, gegründet. Das ISP erhielt Spenden vom Glücksspielkonzern Novomatic: 200.000 Euro sollten im Rahmen eines Dreijahres-Vertrages einbezahlt werden, ein Teil davon wurde bereits geleistet.
Die Ermittler prüfen laut "Standard", ob das ISP dazu diente, "Gelder für die FPÖ bzw. H.-C. Strache zu lukrieren". Im Gegenzug könnte Novomatic seitens der FPÖ-Politiker ein Entgegenkommen bei der Vergabe von Glücksspiellizenzen versprochen worden sein, so ein Ermittlungsansatz. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, ein Sprecher von Novomatic hielt fest: "Es wurden bereits 2018 und 2019 Leistungen durch das ISP im Rahmen des Vertrages erbracht."
Die ISP-Ermittlungen sind Teil der Causa Casinos, die durch eine anonyme Anzeige losgetreten wurde. In der Causa geht es um einen Deal, den es zwischen Novomatic und türkis-blauen Politikern gegeben haben soll. Der damalige Casinos-Anteilseigner Novomatic soll geholfen haben, den fachlich ungeeigneten FPÖler Peter Sidlo zum Vorstand der Casinos Austria zu bestellen. Dafür sollte der Konzern wiederum bei der Vergabe von Glücksspiellizenzen bevorzugt werden, so der Vorwurf. Besondere Brisanz erhält die Causa durch Straches Ibiza-Sager: "Novomatic zahlt alle."
Ermittelt wird gegen Johann Gudenus, Strache und Sidlo, unter anderen aber auch gegen Verantwortliche von Novomatic und den Casinos Austria sowie die Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Josef Pröll (beide ÖVP). Die Beschuldigten bestreiten sämtliche Anschuldigungen.
Spesen und Drogenhandel
Die Liste an weiteren Ermittlungssträngen ist lang. So stehen gegen Strache Vorwürfe im Raum, dass er in zwei Fällen Mandate für Geld verkauft haben soll. Darin sollen auch ukrainische Oligarchen involviert gewesen sein. Strache dementiert die Vorwürfe, ebenso wie jene zu seinen Spesenabrechnungen, die für großes Aufsehen gesorgt haben.
Strache soll als FPÖ-Chef seiner Partei mittels Scheinbelegen Privatausgaben - darunter eine Whirlpool-Wartung - verrechnet haben. Dadurch könnte er sich wegen Betrugs, Veruntreuung und Untreue strafbar gemacht haben. Der Ex-Vizekanzler betont, dass er alle Ausgaben nachweislich selbst bezahlt habe.
Zuständig für den Spesenkomplex ist die Staatsanwaltschaft Wien. Sie beschäftigt sich auch mit den Produzenten des Ibiza-Videos. Es gibt mehrere Beschuldigte, darunter einen Wiener Rechtsanwalt und einen "Privatdetektiv". Ermittelt wird wegen des Missbrauchs von Tonaufnahme- sowie Abhörgeräten und versuchter Erpressung. Eine Anklage gibt es hier bereits in einem Nebenschauplatz: Zwei Personen, die mit der Erstellung des Ibiza-Videos in Verbindung gebracht werden, müssen sich in Salzburg wegen Suchtmittel-Delikten vor Gericht verantworten. Auch der "Detektiv", der die Ibiza-Falle gelegt haben soll, war möglicherweise als Drogenhändler tätig.
Zeitplan für U-Ausschuss
Wie es in den anderen Verfahren weitergeht, ist offen. Vorhabensberichte für Enderledigungen an die Oberstaatsanwaltschaft Wien gab es seitens der WKStA nicht. Einen Zeitplan gibt es hingegen für die parlamentarische Aufarbeitung der Ibiza- und Casinos-Affäre: Am 4. Juni startet im Nationalrat der U-Ausschuss, 42 Termine sind geplant.