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Aufschlussreiche Messungen aus Anlage im britischen Sellafield. | Radioaktivität im Meer verdünnt sich stark. | Wien. Die Nachrichten aus Fuku shima werden immer erschreckender: Im Meerwasser nahe des Atomkraftwerks wurde am Donnerstag eine Konzentration von radioaktivem Jod 4000 Mal höher als der zulässige Grenzwert gemessen. Kein Wunder, dass in der EU unter anderem eine Debatte um Strahlen-Grenzwerte für aus Japan importiere Produkte tobt.
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Erst vergangenen Freitag hatte Brüssel die Sicherheitsmaßnahmen für Lebensmittel aus den betroffenen Regionen verschärft: Diese dürfen künftig nur nach strengen Kontrollen eingeführt werden. Parallel dazu existiert jedoch eine EU-Verordnung, wonach auch stärker verstrahlte Lebensmittel importiert werden dürfen, damit es im nuklearen Notfall nicht zu einer Lebensmittelknappheit kommt. Den Notfall sieht die EU nun offenbar gekommen. Denn seit einer EU-Eilverordnung vom 25. März gelten die höheren Strahlengrenzen für Produkte aus Japan. Wir wissen also nicht, welche Gifte wir nun mitessen werden.
Bei der Kernspaltung entstehen radioaktive Substanzen wie Cäsium-137 oder Plutonium. Wie verteilen diese sich im Meer? Wie viel Radioaktivität landet in den Fischen und auf dem Teller? Genaue Antworten für das Unglück in Fukushima hat derzeit niemand. Ein Blick auf die Geschichte der Wiederaufbereitungsanlage im englischen Sellafield aber gibt wichtige Hinweise. In dem früher "Windscale" genannten Komplex entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg Kernreaktoren für britische Atomwaffen. Radioaktive Abfälle wurden ähnlich wie in den USA und der Sowjetunion direkt ins Meer geleitet. Als später zwei Wiederaufbereitungsanlagen entstanden, strömte ebenfalls radioaktiv kontaminiertes Wasser in die Irische See. Nach heftigen Protesten von Anrainern wurden diese Einleitungen über die Jahrzehnte reduziert.
In dieser Zeit untersuchten Strahlenbiologen, wie sich radioaktive Substanzen im Meer ausbreiten. "Für verschiedene Isotope ist das unterschiedlich", erklärt Günter Kanisch vom Hamburger Institut für Fischereiökologie im Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut. Stoffe wie Cäsium-137 und Strontium-90 lösen sich leicht in Wasser. Sie verbreiten sich mit den Strömungen im Laufe der Jahre relativ weit, verdünnen sich dabei aber stark. Anders verhält es sich mit Plutonium oder Americium. Diese Substanzen heften sich gut an Schwebstoffe im Wasser und sinken daher rasch ins Sediment. Das in Sellafield eingeleitete Plutonium und Americium landete vor allem im Meeresboden der Umgebung, nur geringe Mengen wurden weiter transportiert.
Das leicht lösliche Cäsium-137 und Strontium-90 wurde vom Golfstrom entlang der schottischen Atlantikküste nach Norden getragen. Von dort erreichen die Strömungen die norwegische Küste. Ein Teil der radioaktiven Fracht aber bog auch in die Nordsee ein - wo jedoch eher die Überfischung das Problem ist: "Unsere Radioaktivitätsmessungen im Nordsee-Kabeljau mussten wir nach einer gewissen Zeit mangels genügend Proben abbrechen", sagt Kanisch.
Einen Teil der radioaktiven Substanzen nehmen die Meeresorganismen auf. Als das Institut für Fischereiökologie 1982 die Radioaktivität in Nordseefisch maß, zerfielen in einem Kilogramm Kabeljau 16 Atomkerne Cäsium-137 pro Sekunde. Danach ließ Sellafield weniger Radioaktivität in die Irische See ab, sodass Mitte der 1990er nur ein Atomkern Cäsium-137 pro Sekunde und Kilo Fisch zerfiel.
Problem für die Fischer
Isst ein Mensch jedes Jahr satte acht Kilogramm Kabeljau und zerfallen in einem Kilogramm dieses Kabeljau zehn Cäsium-137-Atomkerne, bekommt der Esser in diesem Jahr eine Strahlendosis von einem Tausendstel Millisievert aus dem Fisch ab. In der gleichen Zeit beträgt die natürliche Strahlendosis mehr als zwei Millisievert - da fiel in den 1980er Jahren das Tausendstel Millisievert eines Kabeljau-Gourmets wohl nicht allzu sehr ins Gewicht. Anders sah die Situation bei den Fischern in der Umgebung von Sellafield aus. Bei ihnen kommt mehr Fisch auf den Tisch und die Meerestiere enthalten viel mehr Radioaktivität. In den 1980er Jahren konnte ein Fischer dort auf ein jährliches Millisievert über seine Fisch-Speisekarte kommen.
In der Nähe der Reaktoren von Fukushima lassen sich die Auswirkungen eingeleiteten Radioaktivität auf das Ökosystem vor der Küsten noch nicht abschätzen. Und da Ochotskische Meer vor der Küste Sibiriens weit weg ist, sind Fischstäbchen aus Alaska-Seelachs wohl ungefährlich. Fisch aus Frankreich hingegen wohl weniger: Dort werden nämlich nach wie vor radioaktive Abfälle in den Atlantik geleitet.