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Die strategische Oligarchie in den USA

Von Konstanze Walther

Politik
Menschen stehen im Morgengrauen in Arizona vor dem Wahllokal 2016.
© REUTERS

In den USA ist die Wählerunterdrückung nie verschwunden - und sie ist seit 2013 wieder auf dem Vormarsch.


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Es gibt viele Wege, eine Wahl zu gewinnen. Vor allem in den USA. Politisch naiv ist, wer glaubt, dass es darum geht, die Mehrheit der Stimmen zu bekommen. Dass haben die Wahlniederlagen der Demokraten Al Gore (verlor 2000 gegen George Bush) und Hillary Clinton (verlor 2016 gegen Donald Trump) gezeigt: Beide hatten die Mehrheit der Stimmen auf sich vereint. Aber das schlug sich nicht auf die jeweiligen Stimmen der Wahlmänner- und frauen nieder, kurzum: wenn nur 50 Prozent plus ein Wähler in einem Bundesstaat für die andere Partei stimmen, und damit den ganzen Bundesstaat rot einfärben, also republikanisch, dann nützt es nichts, wenn im nächsten Bundesstaat die Demokraten nicht nur gewonnen, sondern auch eine überwältigende Mehrheit erzielt haben: Dieser Sieg erhält trotzdem nicht mehr Gewicht. So funktioniert ein Mehrheitswahlrecht.

Wenn die Bundesstaaten aus historischen Gründen dann eine andere Gewichtung bei den tatsächlichen Wahlen haben, als es ihrer Bevölkerungsgröße in Relation zukommen würde, ist nicht immer der Wille der Mehrheit, sondern der der Minderheit, wahlentscheidend. In Lehrbüchern wird die Herrschaft von wenigen eine Oligarchie genannt, auch wenn sich die USA als wichtigste Demokratie der Welt rühmen.

Politische Strategen in den Vereinigten Staaten denken daher schon lange nicht mehr in der Anzahl von Köpfen, sondern sie denken in geografischen Daten und haben Statistiker an ihrer Seite: In welchem Wahlkreis hat die jeweilige Partei Chancen auf die Mehrheit? Wo könnte man den einen Wähler mehr erreichen, damit der ganze Bezirk in der eigenen Parteifarbe eingefärbt wird? Oder, moralisch etwas schwieriger: Wo könnte man verhindern, dass die Wähler der anderen Partei ihr Wahlrecht ausüben? Natürlich: "Verhindern" darf man in einer Demokratie nichts. Erschweren aber schon. Und wer die geneigten Wähler sind, und wer nicht, das zeigen wiederum Aufzeichnungen, die vom Wahlverhalten von diversen Bevölkerungsschichten über das Einkommen bis hin zum Geschlecht oder zur Ethnie reichen. Und dass das alles wieder ein bisschen einfacher geworden ist, geht auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 2013 zurück. Auch damals, in Barack Obamas zweiter Legislaturperiode, war das Gericht mehrheitlich mit konservativen Richtern bestückt. Und es fällte das Urteil (Shelby County vs. Holder), dass die Bezirke nicht mehr die Erlaubnis des Bundes einholen müssen, wenn sie etwas an ihren Wahlmodalitäten ändern. Damit endete der seit 1965 bestehende gesetzliche Schutz, mit dem in Wahlkreisen mit ethnischen Minderheiten die Unterdrückung von Wählergruppen verhindert werden sollte.

Shelby-Urteil als Türöffner

Was folgte, war das Einsparen oder Schließen von Wahllokalen in Bezirken, die mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnt wurden. Vergangenes Jahr wurden 1200 Wahllokale gezählt, die seitdem alleine in den südlichen Bundesstaaten geschlossen worden sind. Viele andere Wahllokale, bei denen eine Schließung nicht durchgesetzt werden konnte, verfügen seither nur über eingeschränkte Öffnungszeiten. Das ist ein besonderes Problem, da die USA immer an einem Dienstag wählen, und eine Pause vom Arbeitstag oft gesetzlich gar nicht vorgesehen ist. Viele stehen oft in den Randzeiten vor den Wahllokalen - stundenlang im Morgengrauen oder kurz vor Mitternacht.

Da wundert es kaum, dass die Wahlbeteiligung in den USA extrem niedrig ist - bei den Präsidentschaftswahlen 2016 lag sie etwa bei 55,5 Prozent. Zudem ist es auch ein steiniger Weg, ein registrierter Wähler zu sein - oder zu bleiben. Das Shelby-Urteil öffnete auch eine weitere Tür, hier tätig zu werden. Wie eine erst im Juni publizierte Studie der Columbia University herausgefunden hat, wurde in Bezirken mit ethnischen Minderheiten überproportional häufig die Liste der registrierten Wähler "gesäubert". Das heißt, falls jemand einmal nicht wählen war, oder sonst nicht auf ein behördliches Schreiben reagiert hatte, kann es sein, dass er in der Folge aus der Wählerliste entfernt wurde. Das kann am Wahltag zu einem bösen Erwachen führen.

Eine ander Art, Wahlkreise zu beeinflussen, ist das sogenannte Gerrymandering: Mit Kreativität und mathematischem Verstand werden die Bezirksgrenzen so gezogen, dass die numerisch unterlegene Partei trotzdem die Mehrheit erobert. Das geht etwa, wenn man bei fünf Wahlkreisen zwei zu 100 Prozent mit Gegnern befüllt, und dann in drei Wahlkreisen die eigene Mannschaft mit 51 Prozent gewinnen lässt.

Haft als Ausschlussgrund

Was oft ebenfalls auf eine Beeinflussung des Wahlausgangs hinausläuft, ist die Tatsache, dass Menschen, die einmal eine Haftstrafe verbüßt haben, in vielen Bundesstaaten nicht wählen dürfen beziehungsweise einen komplizierten Prozess absolvieren müssen, bis sie es wieder dürfen. Aktuell Inhaftierte - oft Afroamerikanern - dürfen es meist gar nicht. Zur Erinnerung: Österreich wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2010 gerügt, weil es Häftlingen das Wahlrecht verweigerte; das Gesetz wurde daraufhin gelockert.

Im November 2019 hat die Nachrichtenagentur Associated Press ein Tonband zugespielt bekommen, in denen einer der politischen Berater Donald Trumps, Justin Clark, auch offen über die Wählerunterdrückung spricht. Clark erklärt auf dem Band gegenüber republikanischen Spendern, dass die Partei sich "traditionell" auf Wählerunterdrückung in Swing States verständigt. Clark erklärte später, seine Aussagen seien aus dem Kontext gerissen worden. Experten gehen davon aus, dass Wählerunterdrückung auch bei der Wahl 2020 eine Rolle spielen wird. Kein Wunder, dass die Demokraten mit allen Mitteln bei den Parteitagen versuchen, Sympathisanten zu motivieren, trotz allem Wählen zu gehen.