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Die Stunde der Falken

Von Christian Chaise

Politik

Jerusalem - Für die beiden Hauptbeteiligten des Nahost-Konflikts stehen nach dem Krisengipfel von Sharm el Sheikh die Zeichen auf Sturm. Denn sowohl Palästinenserpräsident Yasser Arafat als auch Israels Ministerpräsident Ehud Barak bläst der Wind nun im eigenen Lager scharf ins Gesicht.


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Ihre Absichtserklärung, der Gewalt ein Ende zu bereiten, ist nicht nur schwierig umzusetzen, sondern erweist sich auch politisch als riskant. Beide - Arafat wie Barak - könnte der Konflikt politisch den Kopf kosten. Nie zuvor hatte der Palästinenserpräsident so wenig Einfluss auf sein Volk wie in diesen Tagen. Und Baraks möglicher Partner in einer Notstandsregierung, der rechte Hardliner Ariel Sharon, gab dem israelischen Regierungschef am Mittwoch einen Korb. Barak steht damit vor dem Ende seiner Regierung.

Erstmals veröffentlichte die palästinensische Autonomiebehörde eine Erklärung, in der sie sich dazu verpflichtet, die Lage zu beruhigen. Arafat scheint sein in Sharm el Sheikh gegebenes Wort halten zu wollen. Fraglich ist jedoch, ob er überhaupt die Mittel und Möglichkeiten dazu hat. Es scheint immer unwahrscheinlicher, dass er noch die Kontrolle über die Straße hat, auch wenn Israel das Gegenteil behauptet.

Die Machtlosigkeit Arafats wurde bereits bei der brutalen Zerstörung des Josefsgrabs in Nablus offenbar. Arafat konnte den Mob nicht stoppen, erklärte danach nur hilflos, das jüdische Heiligtum werde wieder aufgebaut. Der Lynchmord an zwei israelischen Soldaten wenige Tage später in Ramallah bewies endgültig, dass Arafat die Massen keineswegs im Griff hat. Seine Autorität ist bei den Palästinensern nicht mehr unbestritten. In dem Fatah-Führer Marwan Barguti ist Arafat in den letzten Wochen ein ernstzunehmender Widersacher erwachsen: Barguti gilt als Schlüsselfigur des Palästinenseraufstands, der durchaus eigene Ziele verfolgt. "Arafat kann der (palästinensischen) Polizei Befehle geben, aber nicht mir oder dem Volk", verkündete er kürzlich.

Der Palästinenser-Präsident sei zurzeit "schwach", stellte auch der Wissenschaftler Gasan el Khatib fest. Er habe keine andere Wahl als den Gefühlen der Basis nachzugeben. "Um stark zu sein, muss Arafat die Sprache der Straße sprechen", meint el Khatib, "sonst verliert er das Vertrauen." Gewinnen würden dann die radikalen Fundamentalisten der Hamas-Bewegung. Bekämen sie Oberwasser, wäre der Nahost-Friedensprozess auf Jahre hinweg beerdigt.

Einen Drahtseilakt muss auch Barak vollbringen. Er hat im Grunde nur die Wahl zwischen politischem Überleben und der Wiederaufnahme des Friedensprozesses. Barak steht innenpolitisch kurz vor dem Aus. Bereits seit Juli steht er nur noch einer Minderheitsregierung vor, Ende Oktober ist die nächste Parlamentssitzung. Versuche, den rechtsgerichteten Likud-Block in einer Notstandsregierung einzubinden, scheiterten. Likud-Chef Sharon, dessen Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg den neuen Aufstand provoziert hatte, gegen eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen.

Mit Sharon im Nacken war Barak bereits nach Sharm el Sheikh gereist. Dieser hatte den Ministerpräsidenten im Vorfeld davor gewarnt, bei dem Gipfel im ägyptischen Badeort mehr als einem Waffenstillstand zuzustimmen. Barak konnte denn auch durchsetzen, dass US-Präsident Bill Clinton in seiner Abschlusserklärung nicht die Wiederaufnahme des Friedensprozesses innerhalb der nächsten zwei Wochen ankündigte. Aber schon Clintons Hinweis, mit den beiden Parteien beraten zu wollen, genügte Sharon für einen Abbruch seiner Gespräche mit Barak. Sollte es sich der Hardliner bis dahin nicht überlegen, ist Baraks Sturz besiegelt.