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Die Sieger des Wahlabends in Niedersachsen sind Philipp Rösler und Christian Wulff.
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Niedersachsen hat gewählt: Die FDP hat wider Erwarten zugelegt, die CDU abgespeckt. Mit einer knappen Mehrheit wird Rot-Grün das Land regieren. Doch die Sieger des Wahlabends sind der deutsche Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Niedersachsens Ex-Ministerpräsident und Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Der Fall Rösler zeigte, dass Totgesagte auch beerdigt werden müssen. Und für Wulff konnte das Wahlergebnis nicht besser ausfallen. Die Verluste der CDU sind seine Chance. David McAllister verstand es als sein Nachfolger nicht, die Lücke, die Wulffs Umzug nach Berlin hinterlassen hatte, zu schließen. Wulff wird nun als Retter gebraucht. Und sei es mangels Alternative.
Im Herbst stehen Bundestagswahlen an, und Hannover zeigt, dass es im wahrsten Sinn des Wortes um jede Stimme geht. Daher ist es wichtig, die Niedersachsen-Wahl ins richtige Licht zu rücken. Regionale Themen haben nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Niedersachsen ist Wulff-geprägt - immer noch. Die Weichen wurden von ihm gestellt, es galt für McAllister nur, das Personal im Politzug präsentabel erscheinen zu lassen. Die Wähler haben im Schatten der Bundestagswahl im Herbst 2013 ihre Kreuze gemacht. Anderes zu behaupten wäre Augenwischerei.
McAllister musste sich von Wulff klar absetzen, um sein Profil zu schärfen. Er tat es sehr konventionell, indem er die Landesvaterrolle vermenschelte. Familie, Vertrauen, Zuverlässigkeit - das waren die Säulen, von denen er seine Botschaften verkündete. Der Unterschied zu Wulff bestand nur im Namen. Das ist zu wenig, um nicht zu sagen: fast schon unzeitgemäß. Und das Wahlergebnis bestätigt dies.
Die FDP kämpfte schlicht ums Überleben oder genauer um das Überleben ihres Vorsitzenden Rösler - und sie überlebte mit einem Plus von 1,8 Prozent und erreichte 10 Prozent. Für eine totgeglaubte Partei ist das ein recht passables Ergebnis. Rösler ist der ewige Abiturient auf der politischen Bühne. Seine Leier-Rhetorik weckt niemanden auf. Bei einem schlechten FDP-Ergebnis in Niedersachsen hätte er nicht überlebt. Seine Wiederauferstehung hat daher surreale Züge, ist aber der Wählerwille. Daran ändert auch nichts, dass die FDP von CDU-Leihstimmen profitierte und SPD-Chef Sigmar Gabriel giftet: "Eigentlich gibt es die nur, wenn sie Fremdblutzufuhr bekommen." Solche Äußerungen offenbaren ein verkrüppeltes Demokratieverständnis und zeugen von einer überemotionalisierten Einschätzung der Lage. Schließlich setzt der Wähler das Kreuz nach seinem Willen. Es lässt sich nicht bestellen.
SPD und Grüne können trotz der Zugewinne nicht mit dem Wahlergebnis zufrieden sein, zeigt es doch, wie knapp es bei der Bundeswahl zugehen könnte. Die Wackelkandidaten auf beiden Seiten bleiben die großen Unsicherheitsfaktoren. Peer Steinbrück fährt miese Umfrageergebnisse ein. Und der FDP-Erfolg ist dem Umstand zu verdanken, dass die Wahl in Röslers Stammland stattfand. Das eine oder andere Kreuz dürfte daher auch unter Vorbehalt gesetzt worden sein. Das kann bei der Bundestagswahl schon wieder anders sein.