Meral Aksener und ihre neue Partei könnten bei den Wahlen 2019 die größte Gefahr für Erdogan werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ankara/Wien. Dass sie mit Widrigkeiten umzugehen weiß, hat Meral Aksener schon öfters unter Beweis gestellt. Als man der rechtsnationalen Politikerin vor einigen Monaten bei einem Auftritt in der westtürkischen Stadt Canakkale den Strom abdrehte, schnappte sich Aksener ganz einfach ein Megafon und setzte ihre Rede fort, während sich ihre Anhänger darum bemühten, mit ihren Handy-Displays zumindest für etwas Licht im Saal zu sorgen.
Doch Störaktionen wie jene in Canakkale könnten bloß ein Vorgeschmack auf das sein, was Aksener in den kommenden Monaten blüht. Denn mit ihrer Mitte der Woche neu gegründeten Partei ist die ehemalige Innenministerin zum womöglich gefährlichsten Gegner von Recep Tayyip Erdogan bei den 2019 in der Türkei anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen geworden. So könnte die Iyi Parti (Gute Partei) nach Einschätzung vieler Meinungsforscher nicht nur rund ein Zehntel der bisherigen Unterstützer von Erdogans AKP auf ihre Seite ziehen. Aksener und ihre Mitstreiter haben auch das Potenzial, der streng nationalistischen MHP und der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP Wähler abspenstig zu machen.
Dass die Wahl für Erdogan kein Spaziergang wird, hat schon das Ergebnis des Verfassungsreferendums im April gezeigt, mit dem sich der Präsident eine bisher ungekannte Machtfülle verschafft hat. Denn obwohl das "Ja"-Lager auf die gesamten Ressourcen der regierenden AKP zurückgreifen konnte und in den Medien überproportional stark repräsentiert war, lag die Zustimmung für das von Erdogan so dringend ersehnte Präsidialsystem nur bei 51,4 Prozent. Damit war man nicht nur weit entfernt von jenen 60 Prozent, die die AKP und die nach einer plötzlichen Kehrtwende ebenfalls für ein "Ja" eintretende MHP bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2015 zusammen erreicht hatten. Auch die 50-Prozent-Hürde, die Erdogan 2019 ebenfalls überspringen müsste, um im ersten Durchgang im Amt bestätigt zu werden, wurden nur knapp gemeistert.
Bewunderte Härte
Auch Aksener, die im September 2016 nach einer gescheiterten Revolte gegen Parteichef Devlet Bahceli aus der MHP ausgeschlossen wurde, hatte vor dem Verfassungsreferendum lautstark für ein "Nein" geworben. Die häufig mit hochgeschlossener Bluse und farbenfrohem Blazer auftretende 61-Jährige tourte ohne Unterlass durch das ganze Land, hielt dutzende Reden und schüttelte unzählige Hände. Ihr unermüdlicher Einsatz brachte der frommen Muslimin, die nach eigener Aussage keines der täglichen Pflichtgebete auslässt, nicht nur große Sympathien ein. Innerhalb weniger Wochen war die für ihre feurige Rhetorik bekannte Rechtspolitikerin auch zum Hoffnungsträger all jener aus dem konservativ-nationalen Lager geworden, die unzufrieden mit Erdogan und der AKP sind.
An Aksener schätzen ihre Anhänger aber nicht nur ihr Engagement, sondern auch ihr Durchsetzungsvermögen und ihre offen zu Schau getragene Härte. Dass sie nach Jahrzehnten in der von Männern dominierten türkischen Politik diesen um nichts nachsteht, zeigte sich nicht nur im erbitterten geführten Machtkampf um die MHP-Spitze. Zu keinen Kompromissen bereit zeigt sich "Asena", wie sie viele Anhänger in Anlehnung an die mythische Wölfin in der türkischen Ursprungslegende nennen, vor allem auch in der Kurdenfrage. Sie würde "das Rückgrat des Terrorismus in sechs Monaten brechen", sagte Aksener einmal.
Gefährliche Anschuldigungen
Als wie gefährlich Erdogan Akseners Aufstieg mittlerweile einschätzt, lässt sich schon an zahlreichen Wortmeldungen des Präsidenten ablesen. Bereits im August, als Aksener erstmals öffentlich angekündigt hatte, eine eigne Partei gründen zu wollen, hatte sie Erdogan als Repräsentantin der "Alten Türkei" bezeichnet - eine unverhohlene Anspielung auf Verbindungen zur mittlerweile als terroristische Organisation verbotene Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Auch regierungsnahe Medien bemühen sich bereits seit Monaten darum, die 61-Jährige in die Nähe von Erdogans Erzfeind zu rücken.
Wie gefährlich es sein kann, den zunehmend autoritär regierenden Präsidenten in Bedrängnis zu bringen, musste zuletzt der Kurdenpolitiker Selahattin Demirtas erfahren. Der Parteichef der HDP sitzt nach der Aufhebung seiner Immunität mittlerweile im Gefängnis. Die "Wölfin" gibt sich derzeit aber noch unbeeindruckt. "Unser Volk sagt ganz klar, dass es eine neue Regierung will", rief Aksener ihren Anhängern am Gründungsparteitag zu.