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"Die Stunde des Sieges ist da"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Im Irak ist die Rückeroberung Mossuls angelaufen, der IS in der Defensive. Die Peschmerga vermelden Landgewinne.


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Bagdad. Die Reaktion kam prompt. Kurz nachdem Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi im Morgengrauen die Militäroperation zur Rückeroberung der Stadt Mossul aus den Händen des Islamischen Staates (IS) ankündigte, explodierte wenige Stunden später in Bagdad eine Autobombe in unmittelbarer Nähe des Außenministeriums. Schwarze Rauchwolken nebelten für kurze Zeit das einst schneeweiße Gebäude ein. Krankenwagen und Feuerwehr rasten mit viel Lärm heran und bargen Tote und Verletzte.

Mit ernstem Gesicht hatte Abadi im Staatssender Irakija die lang erwarteten Worte gesprochen: "Mein liebes Volk, Söhne von Mossul, die Stunde des Sieges ist gekommen. Die Operation zur Befreiung Mossuls hat begonnen. Gemeinsam werden wir den Islamischen Staat besiegen und unsere Stadt wieder aufbauen."

Irakija sendete schon am Vorabend Gefechtslärm, zeigte Bilder von Mossul und den Soldaten, die sich auf die Schlacht vorbereiteten, untermalt mit Kampfesliedern. Umgeben von Generälen und Offizieren, im Hintergrund die irakische Flagge, sprach der Premier dann direkt die Bewohner Mossuls an. "Die Streitkräfte sind gekommen, Euch zu befreien. Sie haben nur ein Ziel: den IS zu besiegen und Eure Würde und Euer Wohlergehen zu sichern. Mit Gottes Hilfe werden wir siegen."

Militäraktion wird mehrere Monate dauern

Gleichzeitig wurden tausende von Flugblättern über Mossul abgeworfen, auf denen die Bevölkerung aufgerufen wurde, in ihren Häusern zu bleiben. Die Autobombe in Bagdad ist ein Vorbote dessen, was geschehen wird, sollte Abadi recht behalten. In einer ersten Stellungnahme erklärte die irakische Armee gestern Nachmittag, mehrere Verteidigungslinien des IS seien zerstört worden. Arabische Fernsehsender sendeten Aufnahmen, die den Angriff auf die Stadt zeigten. Zu sehen waren Raketen und Reihen von Leuchtspurgeschossen. Dazu hörte man Gefechtslärm. Die kurdischen Peschmerga-Truppen vermeldeten erste Erfolge bei der Einnahme von Dörfern im Nordosten von Mossul.

Etwa 4000 Soldaten der kurdischen Sicherheitskräfte sind an dem Angriff beteiligt. Sie unterstützen die irakische Armee und Polizei, die in Mossul einrücken sollen. Die Kurden seien bereits näher auf die Stadt vorgerückt, teilte der Sprecher der Peschmerga, Hikmat Halgord, mit. Während die irakische Armee von Süden aus Mossul angreift, übernehmen die kurdischen Peschmerga die Front im Osten. Am Abend trat Kurdenpräsident Masoud Barzani sieben Kilometer vor Mossul vor die Presse und sprach von ersten Siegen und davon, dass irakische Armee und Peschmerga zusammen die Stadt befreien werden.

Seit Monaten tobt ein heftiger Streit zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung in Erbil. Wie lange die gestrigen, versöhnlichen Worte des Kurdenführers über das Land hallen werden, bleibt eine andere Frage.

Jedenfalls könnte die Offensive zur größten militärischen Operation im Irak seit der US-Invasion zum Sturz von Machthaber Saddam Hussein im Jahr 2003 geraten. Sie werde möglicherweise mehrere Wochen dauern, erklärte der Kommandeur der von den USA angeführten Koalition, die die Streitkräfte aus der Luft unterstützt. Die US-Regierung in Washington sprach von einem "entscheidenden Moment" im Kampf gegen den IS.

IS-Terror: Viele haben Mossul verlassen

Mossul ist die letzte Großstadt, die der sogenannte Islamische Staat noch beherrscht. Sie wird allgemein als zweitgrößte Stadt Iraks bezeichnet. Dem ist allerdings nicht mehr so. Seit dem Blitzkrieg des IS im Juni 2014 und der Übernahme von Mossul und Tikrit haben über eine Million Menschen die Stadt verlassen. Wie viele es genau sind, ist schwer festzustellen. Insgesamt verzeichnet der Irak fast 3,5 Millionen Binnenflüchtlinge, die durch die Dschihadisten ihr Zuhause aufgeben mussten, wie die UNO bilanziert hat. Wie viele darunter aus Mossul sind, ist nicht erfasst worden. So gehen die Schätzungen der noch verbliebenen Einwohner Mossuls auseinander. Die einen sprechen von einer Million, andere Quellen von bis zu 1,5 Millionen. Damit wäre Mossul auf die Größe Erbils geschrumpft, der Kurdenmetropole nur 80 Kilometer entfernt.

Dagegen ist Basra im Süden des Landes erheblich gewachsen, auch weil die Sicherheitslage dort um Weiten besser ist als im Nordirak. Basra verzeichnete jetzt knapp vier Millionen Einwohner.

Ist das Kalifat territorial am Ende?

Sollte Mossul befreit werden, wäre der IS im Irak militärisch weitgehend besiegt. Alle wichtigen Städte hat er bereits verloren. Als erste wurde Tikrit im Sommer letzten Jahres befreit, danach Ramadi im Dezember, ein halbes Jahr später Falludscha. Das im Juli 2014 von IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi ausgerufene Kalifat wäre zumindest auf irakischer Seite territorial am Ende.

Im Nachbarland Syrien beherrschen die sunnitischen Dschihadisten jedoch weiter große Landstriche, stehen dort aber ebenfalls unter Druck. Inwieweit sich die maßgeblich von den Amerikanern zusammengezimmert Koalition im Kampf um Mossul bewährt, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Geplant ist, dass erst einmal kurdische Peschmerga, irakische Armee und Polizei, sowie Spezialkräfte der Anti-Terroreinheiten der Regierung in Bagdad mit Luftunterstützung der Amerikaner den Vorstoß auf Mossul bestreiten.

Die schiitischen Haschid-Milizen will man nicht dabei haben, zu groß ist die Angst, dass sie wie im Falle Tikrits die zumeist sunnitisch geprägte Bevölkerung Mossuls hinterher malträtieren und bestrafen.

Die Beteiligung der Schiiten an den Kämpfen war lange umstritten. Schließlich machten die Amerikaner Druck auf den Regierungschef. Abadi gab nach und schloss die Haschid-Milizen aus.

Einer jedoch will sich nicht ausschließen lassen und sorgte auch gestern wieder für Unmut: der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. In Ankara stellte er sich vor die Presse und verkündete, dass sich die Türkei nicht vom Kampf um Mossul abhalten ließe und er gar nicht daran denke, seine Truppe abzuziehen.

Ankara beharrt auf einer Teilnahme an der Operation, obwohl die irakische Zentralregierung dies ausdrücklich ablehnt. Die USA versuchen zu vermitteln, bislang ohne Erfolg. Auf der Basis in Bashiqa rund 20 Kilometer nordwestlich von Mossul sind bis zu 2000 türkische Soldaten mit Panzern und Artillerie stationiert. Erdogan hatte die Truppen auf Einladung der Behörden der irakischen Kurdenregion nach Bashiqa geschickt; sie sollten kurdische und pro-türkische Kämpfer für den Angriff auf Mossul ausbilden. Jetzt will er, dass sie gezielt ins Kampfgeschehen eingreifen. Es gehe um die Interessen der Türkei und den Schutz der Turkmenen in der Region.

Es steht nun zu befürchten, dass dann auch die vom Iran unterstützten Haschid-Milizen nicht stillhalten werden. Der Interessenkonflikt zwischen den beiden Regionalmächten wird also auch auf dem Schlachtfeld in Mossul ausgetragen werden.