Nur sieben Millionen der 19 Millionen Wahlberechtigten in Venezuela gingen zu den Urnen.
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Caracas. Julio Borges, Präsident der Nationalratsversammlung in Venezuela, erklärte kämpferisch: Mit dem Referendum sei der verhasste Staatschef Nicolás Maduro "rein rechnerisch abberufen worden".
Das Problem: Das Referendum war nicht offiziell, denn das Regierungslager hat die Volksbefragung zu den Plänen der Regierung blockiert. Und des Weiteren ist die Interpretation von Zahlen so eine Sache. Allerdings zeigen die Zahlen, wie tief gespalten das erdölreiche Land ist.
In Venezuela sind knapp 19 Millionen Menschen wahlberechtigt. Über sieben Millionen Menschen (7,186.170) gingen am Sonntag zu der inoffiziellen Befragung, die die Opposition organisiert hatte. Die überwältigende Mehrheit jener Venezolaner, die bei den behelfsmäßigen Kartons ihre Stimme abgeben, votierten demnach auch mit der Opposition: Nach einer Auszählung von 95 Prozent wurden die vorläufigen Ergebnisse bekanntgegeben: Rund 6,4 Millionen Menschen stimmte denn auch mit Ja auf folgende drei Fragen:
Lehnen Sie die Abhaltung einer Verfassunggebenden Versammlung, wie sie von Nicolás Maduro vorgeschlagen wurde, ab, und werden Sie das Ergebnis nicht anerkennen?
Fordern Sie, dass das venezolanische Militär die Verfassung aus dem Jahr 1999 anerkennt und verteidigt und die Entscheidungen der Nationalversammlung unterstützt?
Stimmen Sie der Erneuerung der staatlichen Gewalten innerhalb der Verfassung zu, indem man Neuwahlen ausruft und eine Regierung der nationalen Einheit gebildet wird?
Borges weist darauf hin, dass sich die Legitimität der Volksabstimmung quasi aus der Menge der Menschen erschließt: 6,4 Millionen Menschen haben diese Fragen mit Ja beantwortet - das seien deutlich mehr als die vier Millionen Menschen, die für die Verfassung 1999 gestimmt haben. Außerdem seien die abgegebenen Stimmen in der Zahl größer als jene, die für Maduro gestimmt haben.
Das ist allerdings nicht ganz richtig, denn bei der Präsidentenwahl 2013 hat Maduro zwar äußerst knapp gewonnen (mit 50,6 Prozent), konnte aber immerhin 7,587 Millionen Stimmen auf sich vereinigen. Und das bei einer Wahlbeteiligung von fast 80 Prozent. Allerdings hatte es damals viermal so viele Stationen zur Stimmabgabe gegeben als an diesem Wochenende. Der Ausgang der Wahlen 2013 wird allerdings von der Opposition angezweifelt.
Ausweitung der Proteste
Nun handelt es sich bei der Abstimmung vom Sonntag um "eine klare Botschaft an die Exekutive und an die Welt", sagte die Präsidentin der Zentraluniversität von Venezuela, Cecilia Garcia Arocha. Die "Stunde null beginnt heute", sind sich viele Anhänger der Opposition einig und fühlten sich
bestärkt, die Ausweitung der Proteste gegen Maduro anzukündigen.
Die Zeit drängt: Maduro hat für den 30. Juli Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung angesetzt, die nach Ansicht der Opposition die Macht des Präsidenten und seiner Sozialistischen Partei sichern soll. Beobachter kritisieren, dass bei dem Kreis der zur Wahl stehenden Personen für die Verfassunggebende Versammlung vor allem Bevölkerungsschichten übergewichtet sind, die traditionell eine Nähe zum linkspopulistischen Lager haben.
Venezuela hat die globale Wirtschaftskrise durch den Einbruch des Ölpreises auf dem Weltmarkt schwer zu spüren bekommen. Viele soziale Regierungsprogramme ließen sich nicht mehr finanzieren. Die Zustimmung zu Maduro sank in der Bevölkerung auf 20 Prozent. Bei der Parlamentswahl 2015 siegte die Opposition. Seither ignoriert der Präsident die Volksvertretung. Seine Gegner demonstrieren fast täglich gegen Maduro. Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kamen seit April fast 100 Menschen ums Leben.
"Heute hat sich Venezuela mit Würde erhoben, um zu sagen, von der Freiheit gibt es kein Zurück, und Demokratie ist nicht verhandelbar", sagte Julio Borges. "Wir wollen nicht, dass uns eine betrügerische Verfassungsversammlung übergestülpt wird. Wir wollen kein Kuba sein. Wir wollen kein Land ohne Freiheit sein." Zugleich kündigte Borges in Kürze weitere Informationen zur Strategie der Opposition an. Dazu könnten Straßenblockaden, landesweite Streiks oder ein Marsch auf den Präsidentenpalast gehören.
Maduro bezeichnete dagegen das Referendum als Schaulaufen der Opposition ohne jegliche Folgen für seine Regierung. "Nun macht mal halblang und beruhigt Euch", forderte er die Opposition auf. Der 54-Jährige wirbt weiter für Unterstützung seines Vorhabens, mit dem 30. Juli für eine Verfassunggebende Versammlung zu stimmen, die in weiteren Schritten staatliche Institutionen auflösen kann.
Bei der Abstimmung kam es in der Hauptstadt zu einem gewaltsamen Zwischenfall, bei dem nach offiziellen Angaben eine 61-jährige Frau erschossen wurde. Regierungsgegnern zufolge wurde die Tat von einer "paramilitärischen Gruppe" begangen.