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Die Suche nach dem Ausweg

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Expertenrunde zur Israel-Gaza-Eskalation bemängelt zu viele Vermittler.


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Jerusalem. "Ruhe für Ruhe" lautete lange die einfache Formel für einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas. Heute nicht mehr, waren sich die Teilnehmer eines Expertengesprächs in Jerusalem am Donnerstag einig. Über dem runden Tisch der Runde hing deshalb vor allem eine Frage: Welche Art von Waffenstillstand und Lösung kann und soll erzielt werden?

Das Treffen der rund 30 Experten aus Diplomatie, Forschung, Journalismus und Nichtregierungsorganisationen fand unter der Schirmherrschaft der International Crisis Group (ICG) statt. Diese hatte schon im Mai eine Warnung ausgesprochen, die offenbar weitgehend ignoriert wurde: Weil die Hamas und der Gazastreifen zunehmend isoliert und wirtschaftlich abgeschnitten sind, sei es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem gewalttätigen Flächenbrand komme, sollten sich die Konfliktparteien nicht auf ein Abkommen einigen, das mehr als nur eine "fragile Waffenruhe" bringt. Der Brand ist entzündet, und sein baldiges Löschen scheint wahrscheinlich. Aber kann sein baldiges Wiederausbrechen verhindert werden?

"Hamas hat überrascht"

Für Nathan Thrall, Nahost-Experte der Crisis Group, ist das wahrscheinlichste Endresultat eine neue Friedensinitiative, die vermutlich den Einfluss von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Gazastreifen stärken soll. Doch dieser ist derzeit der große Verlierer des Krieges, während die Hamas für den "Widerstand gegen Israel" den Rückhalt großer Teile der palästinensischen Bevölkerung genießt. Somit könnte sich selbst ein international gestärkter Abbas am Weg zu einem langfristigen Abkommen als Trugbild zusammenfallen, bevor noch etwas erreicht ist. Die Hamas hat sich in den letzten Wochen aus dem Bunker im Gazastreifen in die Herzen Palästinas gekämpft, wenn auch auf Kosten der eigenen Bevölkerung.

Seit Präsident Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten die Macht erlangte, kochr Gaza unter Hochdruck, sagt Thrall. Israels Bodenoffensive sei durchaus von der Hamas kalkuliert gewesen. Sie hatte nichts mehr zu verlieren und konnte die Angriffslust anderer Gruppierungen wie dem Islamischen Jihad nicht mehr im Zaum halten. Die Hamas wollte eine israelische Bodenoffensive, weil sie den Luftangriffen völlig ausgeliefert war. "Für die Hamas ist dieser Krieg eine Errungenschaft", sagt Thrall. Neben 32 getöteten israelischen Soldaten und drei Zivilisten hat sie Israel einen hohen wirtschaftlichen Preis abverlangt und den internationalen Flugverkehr durch Raketenbeschuss zeitweise gelähmt. "Für Israel werden die Grenzen der politischen Macht deutlich", sagt der israelische Politikwissenschaftler Eitan Eran. "Die Hamas hat sie überrascht."

Vielleicht zeigt Israel auch deshalb ein starkes Interesse an der kompletten Demilitarisierung der Hamas. Auch eine Wiederbesetzung von Teilen des Gazastreifens wird nicht mehr ausgeschlossen. Doch die Hamas baut angesichts der hohen Opferzahlen auf das baldige Eingreifen der internationalen Gemeinschaft und folglich auf ein Abkommen mit Israel, aus dem es gestärkt hervorgeht. Dabei hat der Gazastreifen prinzipiell drei einfache Bedürfnisse, die kurzfristig erfüllt werden müssen: genügend Dieselimporte um Strom zu produzieren, Baumaterialien, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Infrastruktur aufzubauen, sowie eine Öffnung der Grenze zu Ägypten für den Personenverkehr. Israel will vor allem ein Ende der Raketenangriffe.

Doch auf der Suche nach einem Rezept verderben derzeit zu viele Köche die Suppe: neben den USA und dem traditionellen Vermittler Ägypten waren bisher auch Katar, Saudi Arabien, die Türkei, sowie die Schweiz und Norwegen involviert. Paradoxerweise spricht ein Großteil dieser Vermittlungskandidaten offiziell nicht mit der Hamas, sodass die absurde Situation entsteht, dass zwischen den Vermittlern vermittelt werden muss. Der direkte Kommunikationskanal zur Hamas ist dabei vor allem Katar.

Die Hamas wird laut einigen Experten erst aufhören zu kämpfen, wenn ihr garantiert wird, dass der Gazastreifen danach besser dasteht als zuvor: nicht verzweifelt, nicht isoliert, und nicht bankrott. Ein Weg könnte auch über den UN-Sicherheitsrat und die Entsendung internationaler Beobachter nach Gaza führen. Gleichzeitig könnte als Teil eines Abkommens die Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde im Gazastreifen ausgeweitet werden. Die von Hamas und Fatah Anfang Juni gebildete Übergangsregierung würde die schrittweise Integration des politischen Flügels der Hamas ermöglichen, mit dem Effekt, dass der bewaffnete Flügel vorerst still gelegt wird. Damit sich das derzeitige Gewalt- und Krisenszenario im nächsten Jahr nicht wiederholt, muss allerdings statt illusorischer Ruhe echte Stabilität geschaffen werden.