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Die Suche nach dem Code

Von Adrian Lobe

Wirtschaft

Gründer einer Krypto-Börse wird für tot erklärt. Nur er hat die Schlüssel. War der Tod vorgetäuscht?


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Wien. Es klingt wie der Plot eines Wirtschaftskrimis: Der Gründer einer Krypto-Börse stirbt an einer seltenen Krankheit. Er hinterlässt einen Laptop. Doch die Bankangestellten kommen nicht mehr an das Geld heran. Das Passwort und der Wiederherstellungsschlüssel sind nicht auffindbar. Der verstorbene Gründer hat das Geheimnis mit ins Grab genommen - und vermutlich auch die Geldeinlagen. Doch der Reihe nach. Am 9. Dezember 2018 verstirbt Gerald Cotten, Gründer der kanadischen Kryptogeld-Börse QuadrigaCX, auf einer Indien-Reise unerwartet an den Folgen von Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, im Alter von nur 30 Jahren. Das Unternehmen gibt die Todesnachricht allerdings erst am 14. Januar 2019 auf Facebook bekannt.

Nach dem Tod kamen die Kunden nicht mehr an ihre Einlagen heran. Dazu muss man zwei Dinge wissen: Im Gegensatz zu Handelsplätzen für Aktien kann bei Krypto-Börsen Kryptogeld gelagert werden. Diese virtuelle Währung wird ausgegeben, indem Computer komplizierte mathematische Rätsel lösen. Quadriga zählte 363.000 registrierte Nutzer, 115.000 davon hatten Bargeld oder Bitcoin hinterlegt, in einem Umfang von insgesamt 145 Millionen US-Dollar. Diese Einlagen sind nur über einen alphanumerischen Code zugänglich. Der Haken an der Sache: Cotten war der Einzige, der über den Zugangscode verfügte. Er hatte den digitalen Tresorschlüssel zu dem Millionenschatz.

Cottens Frau sagte, der Laptop, von dem aus ihr Mann das Geschäft betrieb, sei verschlüsselt. Trotz wiederholter Suchen sei es ihr nicht gelungen, das Passwort oder den Wiederherstellungsschlüssel zu finden. Die Mitarbeiter der Krypto-Plattform versuchten unterdessen fieberhaft, die Geldreserven mit sogenannten Cold Wallets zu erschließen, einem Back-up-System, bei dem Schlüssel in Offline-Geräten wie einem USB-Stick aufbewahrt werden - vergeblich. Sie kamen an das Kryptogeld nicht heran. Das Unternehmen teilte mit: "Quadriga war außerstande, die Cold Wallets zu erschließen."

Totenschein oder Scheintod?

Den Kunden kommt die Sache spanisch vor. Im Online-Forum Reddit kursieren Verschwörungstheorien, Cotten könnte den Tod bloß vorgetäuscht und sich mit dem Geld aus dem Staub gemacht haben. Nutzer melden Zweifel an der Authentizität des Totenscheins an, den die indischen Behörden ausgestellt haben. Zudem müsse es möglich sein, den Laptop zu hacken und so an den Schlüssel zu gelangen. Was die Gerüchteküche weiter anheizt, ist die Tatsache, dass Cotten zwölf Tage vor seinem Tod ein Testament verfasst hat. Darin erklärt er, alle Vermögensposten seiner Frau zu übertragen: mehrere Grundstücke, ein Lexus, ein Flugzeug, eine Yacht sowie seine Chihuahuas. Cotten war ein wohlhabender Mann. Wusste er, dass er sterben musste? Oder wollte er seine Frau nur pro forma als Erbin einsetzen, um nicht Gegenstand von Ermittlungen zu werden? War das Ganze ein abgekartetes Spiel?

Mittlerweile hat ein Gericht in der kanadischen Provinz Nova Scotia, wo die Krypto-Börse ihren Sitz hat, die Beratungsagentur Ernst & Young mit der Prüfung des mysteriösen Falls beauftragt. Das Problem ist, dass Quadriga Schuldnerin ist, die Gläubigerforderungen aber nicht bedienen kann. Auf Reddit haben aufgebrachte Nutzer, die sich geprellt fühlen, ein Fahndungsplakat veröffentlicht: "Wanted: Gerald William Cotten." Sie bezichtigen den Geschäftsmann mit den jungenhaften Gesichtszügen des Betrugs. Es steht der Verdacht im Raum, dass Cotten möglicherweise noch lebt.

Solche Exit Scams (wörtlich: Ausgangs-Betrügereien) sind in der Krypto-Community keine Seltenheit. Nachdem das südkoreanische Fintech-Start-up Pure Bit 2,7 Millionen Dollar Kapital bei einem Initial Coin Offering (ICO), einem virtuellen Börsengang, einsammelte, wurde die Webseite vom Netz genommen. Der Gründer schloss kurz darauf alle Chatgruppen und hinterließ den ahnungslosen Opfern eine dürre Nachricht: "Es tut mir leid." Zwei Wochen später entschuldigte sich der Geschäftsführer für seinen "unverzeihlichen Fehler": Er sei "vom Geld geblendet" gewesen.

Einen ähnlich kuriosen Fall gab es in Deutschland: Nachdem das Start-up Savedroid 40 Millionen Euro von rund 35.000 Investoren einsammelte, tauchte auf der Webseite ein Bild aus der US-Comic-Serie "South Park" auf, versehen mit dem Schriftzug "And it’s gone". Der Gründer Yassin Hankir twitterte daraufhin Fotos aus Ägypten, die ihn am Strand mit einer Bierflasche zeigen, was Befürchtungen wachsen ließ, er habe sich mit dem Geld ins Ausland abgesetzt. Der vermeintliche Betrug entpuppte sich als PR-Aktion. Hankir sagte, er habe "Morddrohungen" erhalten.

Ob der Tod des Quadriga-Gründers vorgetäuscht war und dieser unter falscher Identität weiterlebt, wird die Öffentlichkeit wohl nie erfahren. Die Anleger müssen sich darauf einstellen, dass sie ihr Geld nicht wiedersehen.