Wiens Position zur Euro-Krise durch widersprüchliche Aussagen geschwächt.
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Brüssel.
Kommt ein deutscher Journalist zu einem österreichischen Kollegen und fragt: "Wie ist denn die Haltung eurer Regierung?" Eine Antwort darauf ist gar nicht so leicht. Es ist kurz vor einem Sondertreffen der EU-Staats- und Regierungschefs. Die Debatte beim Abendessen wird sich einmal mehr darum drehen, wie diverse Sparvorgaben mit Programmen zu vereinbaren sind, die die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen sollen. Und erneut ist eine Diskussion um Euro-Anleihen entbrannt - und damit um eine gemeinsame Haftung für die Schulden diverser Euro-Staaten. Deutschland ist dagegen, Frankreich dafür. Und Österreich? Das will der Korrespondent nun wissen.
Der Österreicher gerät in Verlegenheit. Und setzt zu einer längeren Erklärung an. Da gibt es nämlich die Auffassung der Finanzministerin, die sich unmissverständlich gegen die Gemeinschaftsanleihen ausspricht. Die Meinung des Bundeskanzlers aber ist eine andere: Für diesen käme die Einführung von Euro-Bonds sehr wohl infrage, wenn auch erst später. Leicht verwirrt ob der widersprüchlichen Aussagen zieht der deutsche Journalist wieder ab.
Zwar kennt er Meinungsunterschiede innerhalb der Regierung aus seiner Heimat, wo ebenfalls eine Koalition erst eine gemeinsame Linie finden muss. Doch werden die Differenzen nicht immer derart offen nach Brüssel getragen - wodurch die Stimme des Staates an Wert oder zumindest Glaubwürdigkeit verlieren kann.
Wird also das Gewicht und damit die Einflusskraft Österreichs in der Europäischen Union immer geringer? Während diese Frage in Wien verneint und in den Ministerien auf die Mitgestaltungsmöglichkeiten auch eines kleinen Landes hingewiesen wird, finden etliche Kommentatoren in Brüssel, dass die österreichische Position keineswegs zu denen gehöre, die gleich als erste und noch dazu mit größtem Interesse gehört werden wolle. Wirklich aufgefallen sei Österreich das letzte Mal im Zuge der Debatte um eine EU-Verfassung vor mehreren Jahren, meint ein langjähriger Beobachter. Doch mittlerweile gebe es kaum Initiativen, die aus diesem Land kommen. Selbst die von Wien favorisierte - und früh geforderte - Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen wurde erst ernsthaft diskutiert, als die Stimmen dafür aus Berlin kamen.
Paris auf Distanz zu Berlin
Deutschland ist es denn auch, das in erster Linie den Ton im Ringen um Sparprogramme angegeben hat, und parallel dazu hat sich die Aufmerksamkeit während der Finanzkrise immer stärker auf Berlin und Paris einerseits und auf die hoch verschuldeten Staaten wie Griechenland und Spanien andererseits konzentriert. Und Österreich werde nun einmal dem Lager rund um Deutschland zugerechnet, sagt der Politologe Piotr Maciej Kaczynski von der Brüsseler Denkfabrik CEPS (Centre for European Policy Studies). Daran ändere auch wenig, dass es in der Haltung von Kanzler Werner Faymann eine sichtbare Verschiebung gegeben hat: Hatte er zunächst seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel nicht widersprochen, hat er sich nach der Wahl von François Hollande - wie Faymann ein Sozialdemokrat - zum französischen Staatspräsidenten mehr auf dessen Seite geschlagen. Dennoch, findet Kaczynski, sei Österreich nicht als Teil der Gruppe rund um Frankreich zu betrachten - schon allein deswegen, weil es solch ein Bündnis schlicht nicht gebe.
Bildung von Allianzen
"Frankreich war unter Präsident Nicolas Sarkozy selbst Teil der Allianz mit Deutschland", erklärt der Experte. Doch nach dem Wechsel an der Staatsspitze habe es sich zunehmend distanziert. Allerdings ist die Suche nach neuen Verbündeten nicht gerade einfach. "Wie nämlich soll sich die Zusammenarbeit mit den krisengeschüttelten Staaten, die als zweite Gruppe im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, gestalten?", fragt Kaczynski. Auf der anderen Seite wäre Österreich als möglicher Bündnispartner für Frankreich sicherlich auch da nicht tonangebend.
Doch muss die Größe eines Landes nicht ausschlaggebend dafür sein, ob es in der EU gehört wird oder nicht. Luxemburgs Stimmgewicht etwa zieht kaum jemand in Zweifel, was nicht zuletzt daran liegt, dass der kleine Benelux-Staat ein wichtiger Finanzplatz ist. Auch die Niederlande oder Finnland stoßen immer wieder Debatten in der EU an - wenn dies oft auch einen innenpolitischen Hintergrund hat. Getrieben von stärker werdenden Rechtsparteien, versuchen die Regierungen mit dem öffentlichen Hinterfragen der EU-Integration wenigstens einen Teil der EU-Skeptiker für sich zu gewinnen.
Nun könnten sich ja ein paar Staaten zu einer neuen Gruppe zusammenfinden, die gemeinsam für ein Anliegen eintritt. Doch würde dies entsprechende Allianzen und diplomatische Vorbereitungen erfordern. "Daran hakt es aber in Österreich", findet die Leiterin des Salzburg Centre of European Union Studies, Sonja Puntscher-Riekmann. Der Vorwurf richtet sich aber keineswegs an die Beamten in den österreichischen Ministerien - vielmehr knüpft er sich daran, dass die Ressortchefs zu wenig ihre Mitarbeiter konsultieren.
Damit spricht die Politikwissenschafterin etwas an, was in Diplomatenkreisen in Brüssel bestätigt wird. Auf Beamtenebene nämlich - und dort werden die Treffen der Minister, aber auch die Gipfel der Staats- und Regierungschefs vorbereitet - gibt es sehr wohl Wertschätzung für und Interesse an der Meinung der Österreicher. Wenn dann allerdings Regierungsmitglieder im Kreise ihrer Amtskollegen unterschiedliche Standpunkte äußern, schwächt das wieder die Position ihres Landes.
Enttäuschte Hoffnungen
Überhaupt hätten die Österreicher kein starkes Auftreten als Europäer, meint Puntscher-Riekmann. Dabei seien an den Beitritt des Staates in die Union sehr wohl Hoffnungen innerhalb der Gemeinschaft geknüpft worden: dass es sich um einen Partner handeln könnte, der zur Weiterentwicklung der EU beiträgt und nicht zuletzt eine Brücke zu Osteuropa schlägt. Doch diese Erwartungen seien bald enttäuscht gewesen. Und spätestens mit der Bildung einer Koalition zwischen ÖVP und FPÖ, die für europaweiten Aufruhr gesorgt hatte, sei der Vertrauensverlust groß gewesen.
Neuen Kredit zu erhalten, brauche aber Zeit, sagt Puntscher-Riekmann. Zumal die jetzige Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit auf europapolitische Fragen nicht ihr größtes Augenmerk gelegt hatte. Erst seit kurzem wird das gewachsene Interesse von Kanzler Faymann daran registriert. Dabei hätte Österreich als Mitglied der Eurozone, das noch dazu gute wirtschaftliche Eckdaten aufweist, durchaus eine Möglichkeit, in der Finanzkrise Akzente zu setzen und Ideen zu liefern.
Dieses Thema nämlich ist es, das alle anderen derzeit überlagert - und das bereits seit Jahren. Daher ist auch die Bildung von Allianzen zurückgegangen, die früher ausgeprägter zu sein schien. Die Staaten der Visegrad-Gruppe - Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei - beispielsweise verfolgen mittlerweile unterschiedliche Interessen. Die Niederlande konzentrieren sich auf ihre eigenen Probleme, anstatt die traditionelle Kooperation mit Belgien zu vertiefen. Sogar in nordeuropäischen Ländern wie Finnland und Schweden klappt die Gruppenbildung nicht mehr so wie früher - schon allein deswegen, weil der eine Staat den Euro als Währung hat und der andere nicht.
Ohne die Großen
Aber um ihren Einfluss in der EU zu stärken, müssten die einzelnen Mitglieder wieder auf die Suche nach Verbündeten gehen. Dabei vermisst der Politologe Kaczynski Koalitionen zwischen kleineren Ländern - ohne Beteiligung jener großen, die die Debatte beherrschen. Lange Zeit dominierten deutsch-französische Spitzentreffen die Politik. "Aber wo gibt es etwa eine österreichisch-belgisch-niederländische Initiative?" Laut Kaczynski wäre so etwas ein wichtiges Signal: Auch die kleineren EU-Staaten haben ein Stimmrecht, und sie machen davon sehr wohl Gebrauch.
Wenn es nach EU-Recht geht, können ein paar Staaten - mindestens neun - tatsächlich mit einer Idee vorpreschen, die dann von den anderen aufgegriffen werden kann. Das wird derzeit etwa für die Finanztransaktionssteuer debattiert, deren europaweite Einführung nicht möglich ist. Ebenso kursieren Diskussionspapiere, mit denen Mitglieder ihre Standpunkte im nun laufenden Ringen um das EU-Budget festlegen.
Das wiederum ist eine Gruppenbildung, die nach Meinung etlicher Beobachter nicht unbedingt zur Integration der Union beiträgt. Vielmehr stehen einander zwei Lager gegenüber: jenes der Empfängerländer und jenes der Nettozahler, die mehr Geld in den gemeinsamen EU-Haushalt fließen lassen, als sie daraus bekommen. Österreich befindet sich in der zweiten Gruppe und pocht auf eine Beschränkung des EU-Budgets.
Dabei könnte es umgekehrt einen Vermittler zwischen den beiden Lagern spielen. Gerade als kleines Land könnte es diese Rolle übernehmen, stellt Puntscher-Riekmann fest. Gleichzeitig räumt sie ein, dass es umso schwieriger wird, sich von der Nettozahler-Rhetorik zu befreien, je länger diese gepflegt wurde.
Parallel dazu könnte Österreich auch einen Ausgleichsfaktor in der sich verschärfenden Konfrontation zwischen den Ländern im Norden und den krisengebeutelten Staaten im Süden spielen. Es wäre eine lohnende Rolle, findet auch Kaczynski. So wäre es im Interesse des Landes, die Debatte von den Vorwürfen gegen den vermeintlich verschwenderischen Süden wegzuführen hin zur Diskussion über eine sinnvolle Verwendung von EU-Förderungen - auch da also eine Brückenfunktion zu übernehmen. Wenn sich Wien als Hauptstadt Mitteleuropas begreife, könne es davon nur profitieren.