Im Libanon ist nach dem tödlichen Anschlag auf Ex-Ministerpräsident Rafik Hariri die Armee in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Die Angst der Regierung vor einer Rückkehr in alte Bürgerkriegszeiten ist groß. Die Hintergründe des spektakulären Mordes liegen derweilen weiter im Dunkeln. Beirut bemüht sich, den Verdacht auf Islamistenkreise zu lenken, doch wollen Spekulationen, wonach pro-syrische Kräfte oder gar Damaskus selbst dahinter stehen, nicht abreißen.
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Im Libanon herrscht seit gestern Alarmstufe rot. Vor allem in der Hauptstadt Beirut wurden in der Nacht die Militärpatrouillen massiv verstärkt. Aus Sicherheitsgründen, hieß es. Die meisten Schulen, Banken und Geschäfte blieben geschlossen. Die Regierung hatte eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Beobachter vermuten, dass die beschlossenen Sicherheitsmaßnahmen nicht zuletzt verhindern sollen, dass Solidaritätskundgebungen für den populären Politiker in Anti-Regierungsproteste umschlagen könnten. Am Montag Abend waren Tausende Menschen durch die Innenstadt gezogen, um ihrer Wut und Verzweiflung über die Mordtat Ausdruck zu verleihen. Hariri soll heute beigesetzt werden.
Die Hintergründe des blutigsten Attentats seit Ende des libanesischen Bürgerkrieges im Jahr 1990 geben nach wie vor Rätsel auf. Auf einem dem arabischen Fernsehsender Al-Jazeera am Montag zugespielten Videoband bekannte sich eine bisher unbekannte Islamistengruppe namens "Beistand und Jihad in Syrien und Libanon" zu dem mutmaßlichen Selbstmordanschlag, dem mindestens 15 Menschen zum Opfer gefallen waren. "Für unsere Mudjaheddin-Brüder in Saudi-Arabien haben wir die Exekution derer beschlossen, die dieses Regime unterstützen", erklärte der Mann auf dem Band -offfenbar spielte er auf die Tatsache an, dass Hariri 20 Jahre in dem Land am Golf gelebt hat, wo er auch sein Millardenvermögen aufgebaut hat. Die Authentizität der Boschaft ist allerdings mehr als fragwürdig, zumal eine andere Islamistengruppe, die sich "Al Kaida für die Levante" nennt, die Täterschaft radikal-islamischer Kreisen zurückwies. In der im Internet publizierten Erklärung hieß es, nicht Allah-Treue, sondern der libanesische, syrische oder israelische Geheimdienst steckten hinter der Ermordung Hariris.
Libanons Justizminister Adnan Addum beharrte darauf, dass hinter der Tat "ausländische Elemente" mit terroristischem Hintergrund steckten. Kurz darauf wurde in Beirut die Festnahme eines Mannes mit Verbindungen zu Muslim-Extremisten bekannt gegeben. Es handle sich um jenen Palästinenser, der sich auf dem von Al-Jazeera ausgestrahlten Video zu der Tat bekannt habe, hieß es dazu.
Überzeugt hat die offizielle Regierungsversion bisher jedoch wenige. Der im französischen Exil lebende frühere libanesische Armeechef Michel Aoun bekräftigte am Dienstag seinen Verdacht, dass Syrien hinter dem Attentat auf Hariri stecke. Die Syrer hätten das Land "völlig unter Kontrolle", sagte er im Radiosender France-Info. Hariris Ermordung sei eine Herausforderung für die internationale Gemeinschaft. Beobachter sehen den Mord vor allem vor dem Hintergrund der für Frühjahr geplanten Parlamentswahlen. Hariri hatte bereits Interesse an einer Rückkehr auf den Ministerpräsiddentensessel angemeldet. Gemeinsam mit der Opposition wollte er im Wahlkampf erneut dafür werben, wofür er im letzten Oktober vom pro-syrischen Präsidenten Emile Lahoud gefeuert worden war: Eine Los-von Syrien-Politik, in deren Mittelpunkt die Forderung nach einem Abzug der 15.000 Mann starken syrischen Armee aus dem Libanon steht. Weder für Damaskus noch für ihren Verbündeten Lahoud ist dies eine sonderlich rosige Perspektive.
Umso beharrlicher verlangen sowohl die USA als auch Frankreich eine lückenlose Aufkärung der Hintergründe des Mordanschlags. "Wir sind besorgt über die ausländische Besatzung". Die Täter versuchten alle Bemühungen zu ersticken, einen unabhängigen und souveränen Libanon aufzubauen, der frei von ausländischer Vorherrschaft sei, sagte der Sprecher von US-Präsident George W. Bush, der damit offen darlegte, wen das Weiße Haus für den Anschlag verantwortlich macht. Frankreichs Präsident Jacques Chirac, ein persönlicher Freund Hariris und starker Verfechter eines von Syrien unabhängigen Libanon, forderte gar eine internationale Ermittlung.