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Im vergangenen November präsentierte die ukrainische Opposition erstmals Tonbandaufzeichnungen, die eine Verwicklung des ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma in den Mord an dem regimekritischen Journalisten Georgi Gongadse belegen sollen. Über die Causa, die mittlerweile zu einer ernsten Staatskrise wurde, sprach die "Wiener Zeitung" mit dem ukrainischen Botschafter in Wien, Wolodymyr Ohrysko.
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"Wiener Zeitung": Kutschma wird eines schweren Verbrechens bezichtigt. Wird er die Krise politisch überstehen?
Ohrysko: Der Präsident hat mehrmals betont, dass er mit dem Gongadse-Mord nichts zu tun hat. Das wäre auch sehr unlogisch: Im Parlament besteht eine Mehrheit, die seine Reformen und seinen Europa-Kurs unterstützt. Wieso soll er also so etwas riskieren?
Kutschma wusste ja nicht, dass die Gespräche in seinem Büro von einem Geheimdienstmitarbeiter aufgezeichnet wurden und es damit Beweismittel für einen möglichen Mordauftrag geben könnte.
Bisher hat noch niemand Originale dieses vermeintlichen Tonbandes gesehen. Auch nicht das "International Press Institute", das zudem bestätigt, dass die Echtheit der Bänder nicht bewiesen werden kann.
Aber die Kopien sind vorhanden und mehrere Personen haben auch bereits bestätigt, dass die bisher bekannten Textpassagen authentisch sind.
Wie Sie wissen, ist es heutzutage technisch kein Problem mehr, solche Aufnahmen zu manipulieren. Man kann aus Reden willkürlich Worte zusammenzuschneiden.
"Unbedeutend"
Und noch etwas: Gongadses relativ kritische Artikel erschienen in einer Internetzeitung. Bedauerlicherweise haben nur rund 300.000 Ukrainer einen Internetanschluss, das ist weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Ich kenne viel kritischere Journalisten in der Ukraine, die noch dazu eine viel größere Leserschaft haben. Die Anschuldigungen gegen Kutschma sind daher unlogisch.
Kutschma hat kürzlich erstmals eingeräumt, dass der Name Gongadse vor dessen Verschwinden bei einem seiner Bürogespräche gefallen sein könnte. Also war Gongadse doch nicht so unbedeutend?
Der Präsident bespricht viele Dinge. Vielleicht ist der Name irgendwann einmal gefallen, aber das bedeutet nicht, dass er den Befehl gegeben hat, ihn umzubringen.
In der Ukraine glauben manche, dass hinter Gongagdse-Gate der russische Geheimdienst stecken könnte. Putin habe ein Interesse, die Ukraine wieder stärker an Moskau zu binden.
Ich kann solche Dinge als Botschafter nicht kommentieren. Was ich dazu sagen kann, ist: wir müssen abwarten. Ich hoffe, in eingen Wochen, in wenigen Monaten bekommen wir alle Antworten auf alle Fragen. Ich bin sicher, dass wir letzten Endes die Wahrheit herausbekommen werden.
Als ukrainischer Staatsbürger, nicht als Botschafter ist für mich aber ganz klar: Jemand hat Interesse daran, die Ukraine von ihrem Reformkurs abzubringen. Erstmals seit der Unabhängigkeit hat die Ukraine im Vorjahr wirtschaftlich große Fortschritte gemacht. Unsere Industriedaten zeigen nach oben, ebenso die Exportwirtschaft.
Putin und Kutschma haben vor Kurzem ein Abkommen unterzeichnet, das eine engere Zusammenarbeit in der Rüstungstechnologie vorsieht.
Das war ein Phantasiegebilde russischer Medien. Es ging bei dem Treffen um die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nützung des Weltraums. Aber grundsätzlich haben wir mehrmals gesagt, unser Ziel sind die europäischen Werte der Demokratie und der Marktwirtschaft. Der Weg geht nach Westen, aber mit einer guten Kooperation mit Russland und anderen Staaten der ehemaligen UdSSR. Unser Fernziel ist die EU.