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Die Supermarkt-Partei

Von Bruno Aigner

Politik

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"Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns, wenn wir mit der Macht nicht mehr anfangen können, als sie zu praktizieren, recht geschieht, wenn wir sie wieder verlieren. Unsere Machtposition muss

moralisch determiniert sein . . . Ich behaupte, dass es nichts Beängstigenderes gibt als die lange Herrschaft einer Partei, die in Routine und Administration erstarrt."

Bruno Kreisky hat das bei seinem Amtsantritt im April 1970 nüchtern festgestellt. Nach 51 Jahren Regierungstätigkeit in 55 Nachkriegsjahren, 30 Jahre führend und davon wieder 13 Jahre mit absoluter

Mehrheit, findet sich die SPÖ heute auf den Oppositionsbänken wieder. Die nach wie vor stärkste Partei in Österreich hatte ihre Machtposition in den letzten Jahren immer weniger "moralisch

determiniert" und immer mehr bloß "praktiziert". Sie ist in Routine und Administration erstarrt.

Seit dem 4. Februar regieren ÖVP und FPÖ. Eine Regierung, die das Land spaltet und unter europäischer Quarantäne steht. Der Dritte (Schüssel) hat sich vom Zweiten (FPÖ) zum Ersten machen lassen und

dafür das Land in Geiselhaft genommen. Die "Insel der Seligen" ist dabei, eine "Insel der Unseligen" zu werden.

Die SPÖ war nach den langen Jahren in der Regierung vor dem 3. Oktober letzten Herbst bereits zu abgestumpft, um die tektonischen Verschiebungen in der politischen Landschaft Österreichs zu spüren.

Aus einer Klassenpartei der Zwischenkriegszeit, einer linken Volkspartei unter Bruno Kreisky wurde in den letzten Jahren ein Wahlverein für den jeweiligen Bundeskanzler und Parteivorsitzenden. Das

SPÖ-Hauptquartier wurde zur Dependance des Büros des Bundeskanzlers.

Auf diese Weise hat die Partei in den letzten Jahren sich quasi selbst entmannt und entpolitisiert und damit entscheidend zur Entpolitisierung und Infantilisierung in Österreich beigetragen.

Schließlich war sie auch nicht mehr immun gegen populistische Grenzüberschreitungen in der Ausländer- und Asylpolitik. Nicht umsonst konnte Jörg Haider den SPÖ-Innenminister als seinen "besten Mann

in der Regierung" bezeichnen.

Das Ergebnis dieser Politik blieb nicht aus: Die SPÖ konnte Wähler, die an den sozialen Rand gedrängt und für die Ressentiments Haiders gegenüber Ausländern besonders anfällig waren, nicht davon

abhalten, Haider zu wählen. Gewählt wurde das Original und nicht die Kopie. Überdies hat die Partei jene Wähler, die für Menschenrechtsfragen sensibel sind, an die Grünen verloren.

Vor allem aber hat die SPÖ nur zögerlich darauf reagiert, dass auch in Österreich die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Rund 500.000 Menschen leben im zehntreichsten Land der Welt unter der

Armutsgrenze, etwa gleich viele knapp über der Armutsgrenze. Trotz guter allgemeiner Wirtschaftsdaten haben die drastischen Sparmaßnahmen, die von den Maastricht-Kriterien gefordert werden, hässliche

soziale Spuren hinterlassen. Im übrigen ist Österreich nicht zufällig neben Liechtenstein, Luxemburg und Monaco eines der europäischen Steuerparadiese.

Das Versagen in der Verteilungsfrage stellt den großen Sündenfall der SPÖ in den vergangenen drei Jahrzehnten dar. Das Urvertrauen in die soziale Kompetenz der Sozialdemokraten ist verloren gegangen,

zu sehr hat man sich in den letzten Jahren auf diejenigen konzentriert, die auf der Sonnenseite leben, und diejenigen vernachlässigt, die auf der Schattenseite ihr Dasein fristen.

Letztendlich war die SPÖ (so wie andere Sozialdemokratien in Europa auch) hin- und hergerissen zwischen Markt und Mitte. Wie auch immer, der neuen sozialen Kälte, ausgelöst von den neoliberalen

Kräften Amerikas und Englands in den achtziger Jahren und auf die Spitze getrieben durch die verwildernde Globalisierung der Ökonomie ("Menschen sind Kosten auf zwei Beinen"), konnte sie keine

Verantwortlichkeit und Solidarität mehr entgegensetzen. Am Ende hat die stärkste Partei in Österreich immer mehr verwaltet und weniger bewegt.

Sie ist zu einer Supermarkt-Partei geworden, die nicht erkannt hat, dass es keinen sicheren Weg zum Erfolg und nur einen zum sicheren Misserfolg gibt: Es jedem recht machen zu wollen. Intellektuelle

Auseinandersetzung musste den "Seitenblicken" weichen, und zu guter Letzt übernahmen die "Spin-Doktoren" die Macht, indem sie den Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden Viktor Klima gegenüber den Wählern

zur Sprechpuppe machten.

Es gehört zu den Ironien der Geschichte, dass der oberste "Spin-Doktor" und Ex-Bundesgeschäftsführer der SPÖ nach verlorener Wahl zum Großunternehmer Frank Stronach wechselte, der als Franz Strohsack

nach Kanada auswanderte, dort ein Wirtschaftsimperium aufbaute und jetzt in seinen Zweigwerken in Österreich keine Gewerkschaft duldet.

Drei Sätze stehen prototypisch für die Entwicklung der Sozialdemokratie Österreichs in den letzten 30 Jahren. Bruno Kreisky feierte große Erfolge mit dem Satz: "Mir bereiten zehntausende Arbeitslose

mehr schlaflose Nächte als einige 100 Millionen Schilling Schulden." Dann kam, in den achtziger Jahren, die zunehmende Ratlosigkeit in der SPÖ angesichts des neoliberalen Gegenwindes auf, am besten

charakterisiert durch die Feststellung des Kreisky-Nachfolgers Fred Sinowatz (in seiner Regierungserklärung 1983): "Alles ist so kompliziert." Ging die SPÖ schon mit diesem Satz in die Defensive,

verabschiedete sie sich unter Franz Vranitzky endgültig von jeglicher politischer Zielstrebigkeit ihres Programmes. "Wer Visionen hat", erklärte er, "braucht einen Arzt."

Ohne eigenen Anspruch auf intellektuelle und politische Hegemonie kam es folgerichtig so weit, dass die Große Koalition und die SPÖ selbst in Wahrheit immer stärker von Jörg Haider geführt wurden.

Der Mann aus dem Bärental hat von den Schwächen der etablierten Politik in Österreich, von ihrer zunehmenden Immobilität, von der übertriebenen Konsens- und mangelnden Konfliktkultur und dem

Substanzverlust der SPÖ eindeutig am meisten profitiert. Egal, wer innerhalb der SPÖ auf diese Entwicklung hinwies, er wurde ignoriert. Längst war die Parteispitze blind und taub für jegliche Kritik.

Inzwischen regt sich innerparteilicher Widerstand. Während die Parteispitze bei den Koalitionsverhandlungen von der ÖVP erpresst wurde (dies hatte ja Haider im Talon) und sich fast über den Tisch

ziehen ließ, waren viele der knapp 450.000 SPÖ-Mitglieder mit ihren Gedanken bereits in der Opposition. Für sie war klar geworden, dass die Reißleine gezogen werden musste. Und es waren auch massive

Proteste der Parteibasis, die verhinderten, dass Ex-Innenminister Karl Schlögl, der nicht nur inhaltliche Signale in Richtung Haider aussandte, als Nachfolger von Viktor Klima für den Parteivorsitz

nominiert wurde.

Als am 19. Februar rund 300.000 Menschen auf dem geschichtsträchtigen Heldenplatz für Menschenwürde und Menschenrechte eintraten, forderten sie nicht nur den Rücktritt der Regierung von Haiders

Gnaden, sondern übten auch massive Kritik an der SPÖ. "Bergdoktor" und "Tatort"-Kommissar Harald Krassnitzer brachte es von der Rednertribüne auf den Punkt: "Wacht endlich auf und werdet eine moderne

sozialdemokratische Partei und verabschiedet euch von eurem Machterhaltungssystem und von den Golfschlägern. Nützt eure Chance."

*

Bruno Aigner, der Autor dieses Beitrages, engster Mitarbeiter von Nationalratspräsident Heinz Fischer, hat sich, neben vielen anderen mit Engagement erfüllten Aktivitäten, auch als Sprecher der

innerhalb der SPÖ angesiedelten "Linken Initiative" einen Namen gemacht. Dieser Artikel ist kürzlich auch in der "Süddeutschen Zeitung" erschienen. Für Österreich gewährte Bruno Aigner der

"Wiener Zeitung" die Exklusivität.