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Die süße Verlockung des Verrats

Von Stephanie Dirnbacher

Wirtschaft

Wer die Teilnahme an einem Kartell als erster gesteht, geht straffrei aus. | Mögliche Schadenersatzklagen von Mitbewerbern. | Wien. Über Kartellen schwebt ein Damoklesschwert. Durch die Einführung der Kronzeugenregel ist der Verrat von geheimen Preisabsprachen verlockender denn je - und zwar für jene, die selbst an diesen Absprachen mitwirken.


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Die Kronzeugenregel, die sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene gilt, räumt nämlich Unternehmen, die an einem Kartell beteiligt sind, unter gewissen Voraussetzungen Straffreiheit ein, wenn diese ihre Mit-Kartellanten verpfeifen.

Laut Walter Brugger, Rechtsanwalt und Kartellrechtsexperte der Kanzlei Dorda Brugger Jordis, werden 90 Prozent der Kartellfälle bei der EU-Kommission über Kronzeugenanträge aufgedeckt.

"Kronzeugen werden in der Regel sehr gut von den Behörden behandelt, weil es enorme Beweisschwierigkeiten bei Kartellen gibt", weiß Brugger. Man denke etwa an die identen Preise mancher benachbarter Tankstellen: Liegt hier eine illegale Preisabsprache vor, oder reagieren die Unternehmen bloß auf die Angebote ihrer Konkurrenten?

Solange alle Beteiligten eines Kartells dicht halten, sind die Behörden praktisch chancenlos. In diese Kerbe schlägt die Kronzeugenregel. Sie will den Verrat eines Kartells attraktiv machen und die Angst der Beteiligten, verraten zu werden, schüren.

Rennen um ersten Platz

Ungeschoren kommt nämlich nur das Unternehmen davon, das als erstes das Kartell anzeigt. Völlige Straffreiheit gibt es außerdem nur, wenn der Fall der Behörde noch nicht bekannt war. "Es ist daher wahnsinnig wichtig, schnell zu sein. Das führt zu einem wahren Windhundrennen", erzählt Brugger.

Man kann nie wissen, ob einem nicht schon ein Mit-Kartellant zuvorgekommen ist. Denn in der Regel dauert es lange, bis die übrigen Beteiligten eines Kartells erfahren, dass einer aus ihren eigenen Reihen petzen war, weiß Brugger. Er kennt einen Fall vor der Europäischen Kommission, bei dem die anderen Unternehmen erst ein Jahr später Kenntnis davon erlangt haben, dass ihre Absprache verraten wurde.

Doch auch wenn man nicht der erste Aufdecker ist, kann sich ein Geständnis eines Kartells auszahlen. Weitere Verräter haben zwar keinen Rechtsanspruch auf eine Ermäßigung der Geldbuße, die Behörden erlassen hier aber üblicherweise einen Teil der Strafe - je nach dem Mehrwert an Informationen, den das Unternehmen liefert.

Ist der Behörde der Sachverhalt jedoch bereits ausreichend bekannt, sodass es zu einer Verfolgung kommt, helfen Geständnisse nicht mehr. "Wenn man etwa kurz vor einer Verurteilung ein Geständnis ablegt, ist das eine Pflanzerei", erklärt Brugger.

Alles muss auf den Tisch

Wer ein Kartell als erster aufdeckt, ist allerdings nicht schon allein durch den bloßen Hinweis aus dem Schneider. Man muss sein kartellrechtswidriges Verhalten sofort einstellen. Darüber hinaus muss man hinreichende Informationen liefern und zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts mit der Behörde zusammenarbeiten. Brugger rät, alles, was man weiß, offen zu legen und mit Beweisen zu untermauern. Wer weniger gesteht, als er tatsächlich weiß, würde Gefahr laufen, den Kronzeugen-Status und damit die Straffreiheit zu verlieren. Besonders viel Wert würden die Behörden auf schriftliche Dokumente legen - Informanten könnten schließlich abspringen.

Gegenüber den anderen Kartellanten muss der Verräter jedenfalls Stillschweigen bewahren. Hinweise auf eine Hausdurchsuchung und dergleichen können den Kronzeugen nämlich ebenfalls den Kronzeugen- Status kosten. Brugger warnt, diese Verschwiegenheitspflicht ernst zu nehmen - "die Behörde kommt meistens auf Verstöße drauf".

Wer ein Kartell aufdeckt, sollte sich jedenfalls auch über die möglichen negativen Konsequenzen bewusst sein. Zwar wird der Kronzeuge nicht wegen Verstoß gegen das Kartellverbot bestraft, doch es könnten Schadenersatzklagen von Kunden und ehemaligen Mit-Kartellanten drohen.

Wissen

Ein Kartell ist eine unzulässige Absprache unter Mitbewerbern, um den Wettbewerb untereinander zu beschränken. Kartelle werden auf nationaler Ebene von der Bundeswettbewerbsbehörde geahndet, bei länderübergreifenden Kartellen von der Europäischen Kommission.