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Die Synode hat mich bekehrt

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Ich glaube wieder. An den Fortschritt.


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An dieser Stelle wurde schon mehrmals der Islam behandelt. Das Judentum kam zwar noch nicht vor - aber zumindest von Israel war schon die Rede. So ist es im Sinne einer Kolumnen-Ökumene nur recht und billig, sich diesmal dem Katholizismus zuzuwenden.

Zurzeit findet eine außerordentliche Synode statt, also eine Zusammenkunft von Bischöfen und Kardinälen aus aller Welt an dem vielleicht letzten Ort, der noch ein Zentrum ist: im Vatikan. Nun bin ich ja nicht so der eingefleischte Synoden-Fan. Aber diesmal ist vieles bemerkenswert.

Da ist zum einen der Ablauf: Erstmals sind die Statements nicht mehr auf Latein. Erstmals wird live aus den internen Beratungen getwittert, und die Referenten sprechen frei, um eine wirkliche Debatte zu ermöglichen. Eine Debatte! Vor allem aber gab es im Vorfeld eine Umfrage, eine vatikanische Umfrage (was für eine Formulierung!) zum Thema der Synode: Weltweit wurde ein Fragebogen verschickt, den die Gläubigen teilweise direkt im Internet beantwortet haben. Kein Wunder (oder eben doch?) - geht es doch um das Thema Ehe, Familie und Sexualität. Da ist es schon gut, wenn die 200 Herren ein bisschen Infomaterial von ihren Schafen haben.

Bemerkenswert ist neben dem Ablauf auch die Themenstellung: Geht es doch um Patchworkfamilien, wiederverheiratete Geschiedene, unverheiratete Paare und gleichgeschlechtliche Partnerschaften - also durchaus pastoral schwierige Situationen, wie man solche heißen Eisen nennt. Und die Töne, die dazu aus Rom kommen, sind durchaus erstaunlich: Paare ohne Trauschein würden "nicht in Sünde leben"! Man solle das "Etikett Sünder" für sie aufgeben. Oder: Es gäbe auch andere Partnerschaftsmodelle für gelebte Treue - etwa gleichgeschlechtliche Paare. Ein vatikanisches Erdbeben? Ist das die römische Kirche? Nicht das Familienbild, sondern die Treue soll nunmehr die Referenz für ein richtiges Leben sein? Treue - als Gegengewicht zu einer individualisierten Welt. Auch wenn das jetzt nicht die einhellige Meinung der Synode ist, sondern nur jene, die es in die Medien geschafft hat: Das ist beachtlich. Vielleicht ist die katholische Kirche ja tatsächlich kein "statisches Gebilde", wie der deutsche Kardinal mit dem schönen Namen Marx gemeint hat.

Der theologische Schlüssel, der es erlaubt, solche Veränderung zu denken lautet: "Vollgestalt". Eine solche ist die traditionelle Familie. Andere Formen sind deren "Teilverwirklichung". So kann sogar eine Institution wie die Kirche andere Lebensformen anerkennen.

Am bemerkenswertesten aber ist die Feststellung, die kirchliche Lehre sei nicht mehr in Einklang mit der Realität der modernen Familie. Lehre und Leben driften auseinander. Nicht dass wir das nicht wüssten. Bemerkenswert ist aber, dass die Kirche es auch weiß, und dass sie es anerkennt. Religion ist ein soziales System, das das gesamte Leben der Menschen zu regulieren versucht. Man denke nur etwa an den IS. Gleichzeitig zu dessen Tugendwächtern und in größter Ungleichzeitigkeit dazu anerkennt die katholische Kirche, dass die Realität, die Lebenswelt ihrer Gläubigen sich unabhängig von ihr gestaltet. Sie nimmt die Realität wahr - sie gestaltet sie nicht. Und sie akzeptiert das. Mich hat die Synode bekehrt: Ich glaube wieder. An den Fortschritt.