Das Land hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht.
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Tiflis. Micheil Saakaschwili hat den Präsidentenpalast widerstandslos verlassen. Stolz posiert der georgische Staatschef auf Facebook mit Umzugs-Kartons, alles soll auf den Schlusspunkt einer Politiker-Karriere hinweisen. Nach zwei Amtszeiten darf er bei den Wahlen am Sonntag tatsächlich nicht mehr kandidieren, der Versuch, sich den Posten des künftig mächtigeren Premierministers zu sichern, ist im Vorjahr gescheitert.
An der Spitze der Regierung steht jetzt der Milliardär Bidsina Iwanischwili; er ist der Protagonist, der politisch die Fäden zieht. Als Geschäftsmann hat er in den 90er Jahren in Russland ein Vermögen gemacht, das sich laut Schätzungen auf 5 bis 7 Milliarden Dollar beläuft. Der Oligarch kam scheinbar aus dem Nichts. Als er seine politische Karriere vor zwei Jahren begann, gab es kaum ein offizielles Foto von ihm. Jetzt, am Höhepunkt seiner Popularität, will sich der Premier ebenfalls aus der Politik zurückziehen, als "einfacher Bürger" dort wirken, wo ihn das Land am nötigsten brauche. Wen er als neuen Premier auserkoren hat, gibt der Tycoon nicht preis.
Doch an dieser Entscheidung hängt viel, immerhin wird das Amt des Premiers nach der Wahl stark aufgewertet: Georgien soll eine parlamentarische Demokratie werden, lautet die Vorgabe. Die Verfassungsänderung hat Saakaschwili höchstpersönlich veranlasst - er wollte vom Präsidentenpalast direkt ins Premiersbüro wechseln. Der Präsident hat künftig laut neuer Verfassung weitgehend repräsentative Aufgaben, stark ist seine Rolle lediglich in der Außenpolitik.
Rücktritt als Druckmittel
Für Iwanischwili und dessen regierende Allianz "Georgischer Traum" geht Giorgi Margwelaschwili ins Rennen um die Präsidentschaft - ein farbloser Intellektueller, der laut Umfragen trotzdem klar mit knapp 40 Prozent der Stimmen in Führung liegt. Und Iwanischwili treu ergeben ist. So übt sich auch Margwelaschwili bereits in der in Georgien offenbar so wichtigen Kunst des Rücktritts: Sollte er im ersten Wahlgang am Sonntag nicht 50 Prozent der Stimmen bekommen, werde er zur zweiten Runde gar nicht mehr antreten, droht der Kandidat. Ein Manöver, das der Stimmenmaximierung dienen soll, im Fall des Misslingens aber für Margwelaschwili unangenehme Fragen aufwerfen dürfte. Mit im Rennen sind der 41-jährige Davit Bakradse, der das Banner Saakaschwilis hochhält, und Nino Burdschanadse, eine Jus-Professorin, die schon Parlamentspräsidentin war und angekündigt hat, den scheidenden Präsidenten vor Gericht stellen zu wollen. Zahlreiche Getreue Saakaschwilis sind bereits in den Fängen der Justiz.
Auf der zentralen Einkaufsstraße der Hauptstadt Tiflis nimmt das Leben unterdessen scheinbar seinen gewohnten Lauf, in den Abendstunden ist es bereits empfindlich kühl, die Menschen gehen zügig ihrer Wege. Trotzdem finden viele Zeit, ausgiebig über die Elite des Landes zu schimpfen. "Politik ist Schmutz, die Politiker alle Lügner", meint ein junger Mann. Saakaschwili habe das Volk betrogen, Iwanischwili sei nichts weiter als ein Geschäftsmann. Und auch in einem anderen Punkt ist er sich sicher: "Russland ist unser Feind, wir sollten auf alle Fälle in die Europäische Union." Ein weiterer Passant will verhindern, dass zuviel Macht in einer Hand vereint wird. Eine Balance müsse geschaffen werden, meint er. Deshalb sollte Bakradse von der Nationalen Bewegung Staatsoberhaupt werden, schon um der regierenden Allianz Paroli zu bieten. Eine junge Frau hat schlicht "keine Ahnung", wen sie wählen soll. Sie wisse nicht mehr, wer wer sei, die Kandidaten hätten einander zu heftig mit Schmutz übergossen.
Mathias Huter, Senior Analyst bei Transparency International und in Tiflis stationiert, sieht Georgien aber auf erfolgreichen Pfaden: Immerhin sei der Wahlkampf "relativ fair" verlaufen, alle aussichtsreichen Kandidaten hätten ihre Meinung in den Medien kundtun können. Alles laufe knapp vor der Wahl "ruhig und gesittet" - eine Neuigkeit in Georgien. Dem scheidenden Präsidenten streut er Rosen: Saakaschwili habe den Staat ab 2003 von Grund auf erneuert und dafür gesorgt, dass Georgien heute in Sachen Korruptionsbekämpfung und -prävention Vorbildcharakter habe. Beamte und Politiker müssten alle Einkünfte offenlegen, alle staatlichen Aufträge würden öffentlich ausgeschrieben, und es würde publik gemacht, wer den Zuschlag erhalte. Jeder Bürger habe das Recht, von Ämtern umfassende Information zu erhalten. Georgien, so Huter, sei in diesem Bereich weit fortschrittlicher als Österreich. Die strikte Handhabe sei nötig gewesen, um die wild wuchernde Korruption, die während der Amtszeit Eduard Schewardnadses gewütet habe, in den Griff zu bekommen.
Saakaschwilis dunkle Seite
Knapp vor der Parlamentswahl 2012 wurde allerdings Saakaschwilis dunkle Seite offenbar. Videos, die Folterungen und sexuellen Missbrauch in Gefängnissen dokumentieren, tauchten in den Archiven auf. Schwerkriminelle und Mafiosi sollten psychisch gebrochen und erpressbar gemacht werden. Daneben wurden Mitschnitte publik, mit denen Politiker und Journalisten unter Druck gesetzt werden sollten. Laut Huter führte das zum entscheidenden Meinungsumschwung in Georgien, da in Folge der strikten Law-and-Order-Politik Saakaschwilis fast jeder Georgier Angehörige hinter Gittern hatte. Seit der schwer durchschaubare Iwanischwili Georgiens Geschicke maßgeblich beeinflusse, sei das Land "deutlich freier", sagt Huter. Es werde weniger Druck auf die Medien, Beamte und Lehrer ausgeübt, "für die Menschen ist neuer Freiraum spürbar."
Österreichs Botschafterin Sylvia Meier-Kajbic sieht Georgien ebenfalls auf einem guten Weg. Immerhin hätten im vergangenen Jahr zwei gegnerische politische Kräfte kooperiert, oder zumindest koexistiert: Saakaschwili als Präsident und Iwanischwili als Premier - ein Novum. Auch sei davon auszugehen, dass der von Saakaschwili eingeschlagene Kurs Richtung Europa auch nach der Wahl beibehalten werde. Iwanischwili habe zwar ein pragmatischeres Verhältnis zu Russland als Saakaschwilli, doch auch sein Blick sei nach Westen gerichtet. Ende November will die EU ein Assoziierungsabkommen mit Georgien unterzeichnen - ein wichtiger Schritt für Georgien, so die Botschafterin. Ein Beitritt des Kaukasus-Landes sei aus europäischer Sicht "ein wichtiger Punkt". Klar sei aber auch, dass Moskau den Kaukasus immer noch als strategisch wichtiges Einflussgebiet betrachte und dem Westkurs nicht tatenlos zusehen werde.
Russische Soldaten sind 2008 im Konflikt um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien in Georgien einmarschiert. Russische Geschütze sind immer noch nur rund 40 Kilometer von Tiflis entfernt stationiert.