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Die Tante Jolesch und das richtige Maß

Von Werner Stanzl

Gastkommentare

Ein Zuviel kann sich genauso negativ auswirken wie ein Zuwenig. Dies trifft auch auf die Art und Weise zu, wie alljährlich im TV der Holocaust und die der KZ-Befreiungen aufgearbeitet werden.


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Der heutige 5. Mai gibt als Gedenktag an die Befreiung des KZ Mauthausen Anlass zu Reflexionen. Dazu die Anekdote über Friedrich Torbergs und unser aller Tante Jolesch. Sie liegt auf dem Totenbett. Die Angehörigen nehmen Abschied. Auch von den Krautfleckerln der Tante, den besten weit und breit. Denn das Rezept hat die sonst so Freigiebige ja stets für sich behalten. In höchster Not vergisst Nichte Louise ihre gute Erziehung und platzt heraus: "Tante, jetzt sag uns endlich, warum deine Krautfleckerln immer so gut waren." - "Weil ich nie genug gemacht habe", haucht die Tante und stirbt.

Das Küchengeheimnis deckt sich mit dem A und O unserer Marktwirtschaft. Knappheit erhöht den Wert, bei Überangebot fallen die Preise. Diese Binsenweisheit gilt auch für das TV-Themenmenü. Doch auf den Kanälen wird kräftig dagegen verstoßen. So beginnen die Berichte von den Befreiungen der KZ alljährlich am 17. Jänner mit Auschwitz und bestreiten bis in den Mai hinein (also fast ein halbes Jahr) Teile des Nachrichten- und Hauptabendprogramms. Dazwischen versuchen uns Filme variabler Qualität das Ausmaß des Verbrechens begreiflicher zu machen. Im Prinzip ein notwendiges und hoffentlich nicht ganz vergebliches Bemühen.

Zu denken gibt aber, dass unverdächtige Mitbürger und auch Nachkommen der Opfer die Dichte des Angebots kritisieren. An den wichtigsten Zielgruppen werde sträflich vorbei gesendet. Ein Karl Kraus hätte wahrscheinlich gedonnert, irgendein oberster Programmchef treibe sein Unwesen, und der könne nur ein Trottel und/oder Antisemit sein, um so perfekt das Gegenteil der akkordierten Absicht zu bewerkstelligen.

Fazit: Allein gelassen, scheint das Fernsehen mit der Aufarbeitung des Holocausts hoffnungslos überfordert. Der eine Teil des Publikums schaltet um oder ab, der andere empört sich darüber und vermutet latenten Antisemitismus als Motiv. Nicht immer, aber sehr oft zu Unrecht. Vielleicht wüsste die weise Tante Jolesch einen Ausweg. Falls diese jedoch mehr als Synonym für Hausverstand gemeint war, müssten auch wir es schaffen.

Feststeht: Wer zwischen 1945 und heute zum größten Verbrechen unserer Geschichte "tempi passati" dachte, hat geirrt. Wer hoffte, die Aufarbeitung des Themas könne allein dem Fernsehen überlassen werden, machte es sich zu einfach. Wer dies aussitzen zu können glaubt, drückt sich.

Vielleicht wäre die Einführung eines Volkstrauertages nach deutschem Beispiel probat. Dazu definiert der Brockhaus: "Der Volkstrauertag ist ein Gedenktag für die Opfer der beiden Weltkriege und der Gewaltherrschaft des nationalsozialistischen Regimes. (.. .) Der Tag soll Mahnung zur Versöhnung, zur Verständigung, zur Toleranz und zum Frieden sein."

Uns böte sich der 5. Mai als Gedenktag an. Der Tag der Befreiung Mauthausens käme den Entscheidungsträgern der Politik einen Schritt weit entgegen. Waren doch bedeutende Vertreter ihrer Parteien unter den zigtausend Opfern. Ihr Andenken wöge schwerer als der Parlamentbeschluss zur immerwährenden Neutralität, hochstilisiert zum Nationalfeiertag.

Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.