Der Magnetkompass war eine der wichtigsten | Erfindungen der Menschheit. Das kleine Messgerät mit Zeiger revolutionierte die Seefahrt und den Handel und stand am Beginn der ersten Globalisierung.
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Nicht weit von Neapel liegt an der Küste des Tyrrhenischen Meeres die Ortschaft Amalfi. Sie hat knapp 6000 Einwohner. Vor etwa 700 Jahren war sie aber neben Venedig, Genua und Pisa eine der großen Seemächte Italiens und die Bewohner der Stadt sind heute noch auf die große Vergangenheit stolz. Und wenn man sich Hafen umsieht , dann findet man dort etwas aus jener glorreichen Zeit, worauf sie ganz besonders stolz sind, eine Statue, ein Mann, der aufs Meer schaut, eingehüllt in einen Mantel mit Kapuze, in der Hand ein Instrument. Das soll Flavio Gioa sein, von dem es heißt, er habe den Kompass erfunden und damit eine der größten Umwälzungen in der Geschichte der Menschheit in Gang gesetzt.
Ob es Flavio Gioia, auf den man in Amalfi so stolz ist, wirklich gegeben hat, sei dahingestellt. Klar scheint für die Historiker nur zu sein, dass gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts die Seefahrer im Mittelmeerraum den Magnetismus mit einem neuen Instrument zur Navigation benutzten. In einem Gedicht, das dem französischen Mönch Guyot de Provins zugeschrieben und auf die Zeit zwischen 1203 und 1208 datiert wird, ist die Rede von einer "Kunst, die nicht lügt, dank der Tugend des Magneten".
Bekannt waren die Wirkungen des Magnetismus schon seit langem und in verschiedenen Kulturen. So wird in einer chinesischen Schrift, die auf das Jahr 806 vor Christus datieren soll, bereits die Wirkung des Magnetit beschrieben. Darin ist die Rede von einem Palasttor aus Magnetit, das jeden entlarvt, der versuchen sollte, es mit metallenen Waffen zu passieren. In anderen alten Handschriften aus China wird auch der Eisenfisch beschrieben, ein magnetisiertes Stück Metall, das in Wasser schwimmt und seinen Kopf nach Süden richtet. In mystischen Ritualen der chinesischen Frühzeit scheinen magnetische Elemente eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Manche Historiker vermuten außerdem, dass der Kompass in China bereits im 11. Jahrhundert auch zur Navigation verwendet wurde, dieses Wissen aber von den Eingeweihten als Geheimnis bewahrt wurde.
Auf jeden Fall begann man im Italien des späten Mittelalters, magnetisierte Nadeln, die sich im Magnetfeld der Erde ausrichteten, mit traditionellen griechisch-römischen Windrosen zu kombinieren. Damit wurde es den Seefahrern des Mittelmeers möglich, auch bei schlechter Sicht und bedecktem Himmel genau die Richtung zu bestimmen, in die sie ihr Schiff steuerten. Auf diese Weise erweiterte sich der Aktionsradius der Handelsschiffe gewaltig, die nun nicht mehr auf Jahreszeiten angewiesen waren, in denen gute Sicht die Navigation nach den Gestirnen ermöglichte.
Die Entwicklung des Kompass zog alsbald eine zweite Erfindung nach sich, die nicht weniger wichtig war: die Herstellung von maßstabgetreuen Seekarten. Die berühmte Carta Pisana aus dem Jahr 1275 verwendet bereits eine Windrose sowie einen Maßstab, der die Distanzen und Kurslininen zwischen den wichtigen Häfen im Mittelmeer darlegt. Kombiniert mit einem Kompass erlaubt eine solche Karte eine Exaktheit der Navigation, die für die antiken Seefahrer unerreichbar geblieben war.
Während Amalfi nach einigen verheerenden Seeschlachten in die Bedeutungslosigkeit versank, erlebte die neue Kunst der Navigation und damit die Herstellung von Seekarten in Venedig eine Blüte. Dort schuf Petrus Vesconte mit vielen Mitarbeitern Karten, die an Exaktheit unübertroffen blieben. Dazu kamen detaillierte Seehandbücher, die den Steuerleuten, die wichtigsten Routen über das Mittelmeer und die wichtigen Häfen in einmaliger Genauigkeit beschrieben.
Bis zum Ende des Mittelalters verbreitete sich der Kompass in ganz Europa. Vor allem in Portugal und dort in der berühmte Seefahrerschule von Sagres wurde die Kunst der Navigation mit der neuen Technik so weit verfeinert, dass man sie für große Entdeckungsreisen verwenden konnte. Kolumbus navigierte bei seinen Fahrten ins Ungewisse, die den Beginn eines neuen Zeitalters symbolisierten, mit dem Kompass. Und Vasco da Gama wagte es wenig später auf seiner Fahrt nach Afrika im Jahr 1497, sich von der Küste zu entfernen und ganz auf der neuen Technik zu vertrauen. Drei Monate verbrachte seine Flotte auf offener See, ohne Landsicht - für die damalige Zeit eine Rekordleistung, die nur dank der neuen Navigationsmethoden zu bewältigen war. (Kolumbus war zum Entsetzen seiner Mannschaft etwa fünf Wochen auf offener See ohne Landsicht unterwegs gewesen.)
Es ist Ironie der Geschichte, dass die Region, von der die revolutionäre, auf den Kompass gestützte Navigation ihren Ausgang nahm, nämlich das Mittelmeer, gerade wegen dieser Erfindung nach und nach an strategischer Bedeutung verlor. Mit dem ersten Schub der Globalisierung zu Beginn der Neuzeit entstanden neue Handelsrouten, die die ganze Erde umspannten und in der Folge neue Weltmächte groß werden ließen.
Buchtipp
Amir D. Aczel: Der Kompass. Eine Erfindung verändert die Welt. Deutsch von Hainer Kober, Verlag Rowohlt,
175 Seiten