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Die Teleputin-Show

Von Veronika Eschbacher

Politik

Im TV schloss der russische Präsident eine Invasion der Ostukraine nicht aus und sinnierte über die russische Seele.


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Moskau. Über viele Jahre hatten sich nur hartgesottene Russland-Interessierte den alljährlichen mehrstündigen Fernsehmarathon mit Wladimir Putin angetan. Dieses Jahr aber hing die halbe Weltöffentlichkeit an den Lippen des russischen Präsidenten, als dieser fast vier Stunden lang live Fragen aus dem ganzen Land beantwortete. Die Bedeutung des diesjährigen Auftritts dürfte auch Putin klar gewesen sein. Er wusste sich in Szene zu setzen und legte nicht nur seine Standpunkte zur Ukraine-Krise dar. Er erläuterte zudem seine Definition dessen, was den Russen ausmacht, witzelte über Oligarchen und überraschte mit einer Videofrage des Whistleblowers Edward Snowden.

2,5 Millionen Fragen an den Präsidenten waren bereits im Vorfeld eingegangen. Den Organisatoren zufolge hätten heuer zudem viele Russen einfach nur angerufen, um ihm "Danke für die Krim!" ausrichten zu lassen. Krim wie Ukraine zogen sich als roter Faden durch die Übertragung. Gleich zu Anfang ließ Putin eine Bombe platzen: "Natürlich standen hinter den Selbstverteidigungskräften der Krim unsere Soldaten", sagte er. "Es war unsere Aufgabe, die Bedingungen für eine freie Willensäußerung der Krim-Bürger sicherzustellen", so der Präsident. Russland habe handeln müssen, damit die Krim nicht in einem vergleichbaren Zustand versinke wie der Osten und Süden der Ukraine heute. "Dummes Zeug" hingegen sei die Behauptung, dass sich heute im Osten der Ukraine russische Geheimdienstler oder andere Instrukteure befänden. "Alles Einheimische." Beweis dafür sei, dass diese ohne Masken unterwegs wären. Wer die Vermummten vor Ort sind, blieb offen.

An der neuen ukrainischen Führung ließ er erwartungsgemäß kein gutes Haar. Er warf ihr vor, das Land in den "Abgrund" zu führen. Nur durch einen "Dialog und demokratische Prozesse" und nicht durch "bewaffnete Streitkräfte, Panzer und Flugzeuge" könne die Ordnung im Land wieder hergestellt werden. Gewalt gegen die eigene Bevölkerung sei ein "schweres Verbrechen der heutigen Machthaber in Kiew", sagte er.

Putin forderte von der Führung in Kiew Garantien für die russischsprachigen Regionen des Landes. Insgesamt sei er hoffnungsvoll, dass eine Kompromisslösung gefunden werden könne. Die Bemühungen um eine Lösung müssten aus der Ukraine kommen, nicht von Russland oder den USA. Der Präsident erinnerte aber daran, dass er vom Föderationsrat das Recht einer militärischen Intervention in der Ukraine erhalten habe. Er wiederholte, dass Moskau alles tun werde, um die Bevölkerung der Ostukraine bei der Verteidigung ihrer Rechte zu helfen. "Ich muss hoffentlich nicht von meinem Recht Gebrauch machen, das Militär einzusetzen."

Gleichzeitig lobte Putin den Beginn der ersten Krisengespräche in Genf mit Vertretern der Ukraine, Russlands, der EU und der USA. Was den Gasstreit betrifft, so gab er der Ukraine noch einen Monat, ihre Schulden zu begleichen. Wenn dann weiterhin keine Zahlungen aus Kiew eintreffen, sehe er sich gezwungen, auf Vorkasse umzusteigen.

Nicht ganz unerwartet durften Bewohner von Sewastopol die ersten Fragen stellen. Ein Krim-Bewohner konnte sein Anliegen fast nicht vorbringen, da er ständig von "Russland, Russland!"-Sprechchören übertönt wurde. Ein Monat nach der umstrittenen Aufnahme der Schwarzmeerhalbinsel in die Russische Föderation versprach Putin umfassende Investitionen in Infrastruktur, Tourismus, Industrie, Landwirtschaft sowie die Schwarzmeerflotte.

Auffällig waren mehrmalige Seitenhiebe Putins auf die ukrainischen Oligarchen. Vor allem Ihor Kolomojskij, einer der reichsten Ukrainer und seit kurzem Gouverneur von Dnipropetrowsk, wurde vorgeführt. Ein Krim-Bewohner, der bei Kolomojskijs Privatbank, die alle Filialen auf der Krim zugesperrt hat, ein Auto geleast hat, wollte von Putin wissen, was er denn nun tun solle. Der Präsident antwortete ihm, er soll einfach in Ruhe weiter damit fahren.

Angesichts der umfangreichen Aufmerksamkeit für die Krim erschienen die anderen russischen Regionen ein wenig eifersüchtig. Aus Sibirien wurden Ängste vorgetragen, dass die jüngste Region Krim nun die Finanzzuwendungen erhalten würde, die eigentlich für die sibirische Infrastruktur vorgesehen war. Ein Bewohner von Beglo sagte Putin, er würde jährlich 4000 Rubel Steuern für sein Auto zahlen - aber Straßen gäbe es keine. Da musste auch Putin lachen und blaffte scherzhaft zurück, was das denn für ein Anliegen sei, "das ist ja fast eine Provokation". Als der Bewohner antwortete, dass man so Menschen nicht rasch genug ins Spital bringen könne, wurde der Präsident wieder ernst und versprach - wie vielen anderen Fragenden - Investitionen in die bemängelten Sektoren.

Auch die Bewohner von Sotschi tun sich offenbar schwer mit dem jüngsten Geschwisterchen Krim, das sie als Konkurrenz im Tourismus sehen. Putin versuchte ihre Bedenken zu zerstreuen, indem er der Olympiastadt in Erinnerung rief, dass ihre Infrastruktur doch auf Weltniveau sei - und die Krim mit ihren Angeboten doch eher für Billigtouristen.

Nach welchem Prinzip ausgewählt wird, wer Fragen stellen darf, ist nicht bekannt. Man muss aber nicht bezweifeln, dass der gesamte Auftritt durchorchestriert ist. So erkundigte sich Edward Snowden bei Putin, wie es denn um Massenüberwachung in Russland stehe (nur auf richterlichen Befehl, nicht in unkontrolliertem Ausmaß, verstehe sich). Der Chef der Berkut der Krim (die Spezialeinheit, die am Maidan auf Demonstranten geschossen hatte und aufgelöst wurde) wiederum erkundigte sich, ob der abgesetzte ukrainische Präsident Janukowitsch immer schon so ein Weichei und Verräter gewesen sei. Das gab Putin - wie bei anderen scharf formulierten Fragen - einerseits die Möglichkeit, sein Volk ein wenig zu zügeln und es väterlich zu ein wenig mehr Kultur im Umgang miteinander aufzurufen. Andererseits konnte er so der geschassten Einheit seinen Respekt dafür ausdrücken, dass sie ihre Befehle ausgeführt hatten (und gleichzeitig subtil Kiew kritisieren). Dass Janukowitsch, der sich vielleicht ein wenig schwer getan hatte in der "kritischen Zeit", Schießbefehle erteilt hätte, verneinte er indirekt. Im Gespräch über Gewalt hätte er Putin gesagt, dass er sich nicht dazu durchringen hätte können, gegen das eigene Volk vorzugehen.

Nicht wenige Fragen betrafen die aktuelle geopolitische Situation. Vor der Nato müsse in Russland niemand Angst haben. Es sei nicht sehr korrekt von der westlichen Welt, die selbst internationales Recht bricht, sobald es ihre Interessen erfordern, von Russland zu verlangen, nicht für seine Interessen einzustehen. Der Kreml habe aber kein Interesse daran, sich selbst zu isolieren. "Die europäischen Werte unterscheiden sich nicht von denen Russlands", sagte Putin und rief zweimal dazu auf, ein Europa "von Lissabon bis Wladiwostok" zu errichten. Wenn man das schaffe, dann "haben wir die Möglichkeit, in Zukunft in der Welt einen standesgemäßen Platz einzunehmen".

Als furioses Finale suchte Putin aus einem Haufen von Zuschriften die Frage aus, was denn den Russen ausmache. Der Präsident wollte aber lieber vom "Menschen der Russischen Welt" sprechen. Dieser würde nicht nur auf sich schauen, sondern daran glauben, dass er eine höhere moralische Mission habe, und sich daher auch um die Entwicklung der Gesellschaft kümmern. Er habe ein großes Herz und großartige, sehr spezielle Gene. Diese würden ihm erlauben, so zäh zu sein.

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