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"Die Themen werden immer lokaler"

Von Barbara Sorge

Politik

Die Protestforscherin Antje Daniel erklärt, wie sich die Fridays-for-Future-Bewegung seit 2019 verändert hat.


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Vor rund drei Jahren fand der erste weltweite Klimastreik statt. Morgen, Freitag, ist es der zehnte. Bis Ende 2019 gab es insgesamt vier dieser Aktionstage sowie den "Earth Strike" - dann kam die Pandemie. Die Forschungswerkstatt Protest am Institut für Internationale Entwicklung an der Universität Wien begleitet unter der Leitung von Antje Daniel die Fridays-for-Future-Bewegung und andere Umweltaktivismen in Österreich wissenschaftlich und führte zu nahezu jedem Weltklimastreik quantitative Befragungen und qualitative Analysen durch. Insgesamt wurden 624 Personen befragt.

"Wiener Zeitung": Wie hat sich die Fridays-for-Future-Bewegung verändert?

Antje Daniel:Die Daten der Befragungen verdeutlichen die Stetigkeit und den Wandel in der Bewegung zwischen 2019 und 2021. Die Stetigkeit besteht in der Zusammensetzung der Akteure. Wir hatten es 2019 und haben es heute mit einer Bewegung zu tun, die von jungen Menschen, vornehmlich von jungen Frauen, getragen ist. Es sind Menschen, die aus der Mittelschicht kommen und gut gebildet sind. Die Aktivistinnen und Aktivisten sind meist schon gut mit Umweltthemen vertraut und möchten durch politischen Druck Veränderung erzeugen, und zwar auf der Straße.

Wir sehen auch einige Verschiebungen in der Bewegung. So gab es 2019 noch die freitäglichen Proteste. Die gibt es mittlerweile nicht mehr. Diese Veränderung wurde von den Organisatorinnen und Organisatoren bewusst herbeigeführt. Nach dem Ausbruch der Pandemie wurde entschieden, sich auf die globalen Klimaaktionstage zu konzentrieren, langfristige Mobilisierungskapazitäten zu generieren und so auch zu vermeiden, sich durch stetige Proteste zu verausgaben.

Die Bewegung war Ende 2018, Anfang 2019 von individuellen Aktivistinnen und Aktivisten getragen. Mittlerweile organisiert Fridays for Future die Klimaproteste im Rahmen der Klimavernetzung Österreich, einem Netzwerk von mehr als 100 Organisationen und Gruppen.

Mit der Entstehung und dem Wachsen des Netzwerkes sehen wir auch eine Verschiebung in der Altersstruktur. Fridays for Future war zu Beginn eine von Schülerinnen und Schülern und Studierenden getragene Bewegung. Wir merken, dass das Alter nach oben geht. Das heißt, immer weniger Junge und immer mehr Erwachsene nehmen an den Protesten teil.

Eine weitere Verschiebung ist in der Themensetzung zu beobachten. Die Fridays for Future haben als globale Bewegung mit der Forderung nach dem 1,5-Grad-Ziel im Anschluss an das Pariser Klimaabkommen begonnen. Spannend ist aber, dass die Themen immer lokaler werden. So zeigt etwa der Lobau-Konflikt, an dem sich auch die Fridays-for-Future-Bewegung beteiligt, eine Lokalisierung der globalen Thematik.

Wie wichtig ist Greta Thunberg noch für die Fridays for Future?

Eine unserer Fragen in der quantitativen Befragung lautet, wie wichtig Greta Thunberg für die Teilnahme am Protest ist. An diesen Daten sehen wir, dass ihre Bedeutung stetig abnimmt. Insgesamt ist die Bedeutung von Greta in Wien geringer als anderswo, weil die Organisatorinnen und Organisatoren hier immer schon viel Wert darauf gelegt haben, keine ikonische Führungsfigur in der Bewegung zu haben, sondern alle als gleich wichtig in der Bewegung zu sehen.

Welche sind die Beweggründe, zum Klimastreik auf die Straße zu gehen?

Da zeigen unsere qualitativen Daten, dass es den Jugendlichen wichtig ist, politisch aktiv zu werden. Sie wollen zeigen, dass sie auch im nicht wahlmündigen Alter mit 14 oder 15 Jahren ein politisches Bewusstsein haben. Damit erteilen sie dem Narrativ einer apolitischen Jugend eine Absage, das vor der Fridays-for-Future-Bewegung sehr stark in der Öffentlichkeit präsent war.

Was die Jungen und die Älteren miteinander teilen, ist die Sorge um die Zukunft. Dieser Sorge um die Zukunft geht eine Erfahrung von multiplen Krisen voraus. Häufig sind Jugendliche dabei, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts geboren wurden. Sie haben die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Migrationskrise wahrgenommen und sind mit dem Bewusstsein einer ökologischen Krise groß geworden. Diese sich überlappenden Krisen erzeugen ein bestimmtes Problembewusstsein und die Sorge um die Gestaltbarkeit einer Zukunft, die vor dem Hintergrund eines ökologischen Kollapes schwer zu verwirklichen ist. Im Narrativ der Sorge um die Zukunft liegt eine sehr hohe Mobilisierungskraft. Darunter finden sich ganz viele andere Ängste, wie die, dass die Gestaltbarkeit der Zukunft verloren geht.

Warum wählt Fridays for Future den Druck der Straße?

Fridays for Future versteht sich sehr stark als eine Bewegung, die die Breite der Gesellschaft erreichen möchte. Es geht also darum, einen Raum zu schaffen, der für ganz unterschiedliche Menschen anschlussfähig ist. Der Protest der Straße ist eine legitime und wenig kontroverse Form und Strategie des Widerstands.

Es ist auch eine Form der Selbstorganisation, die durch eine außerparlamentarische Organisation von Bürgerinnen und Bürgern versucht, Aufmerksamkeit für Themen zu schaffen, die möglicherweise im Rahmen der repräsentativen Demokratie unterrepräsentiert sind oder aus der Perspektive der Aktivistinnen und Aktivisten nicht angemessen diskutiert werden. Und Proteste geben denjenigen die Möglichkeit, sich politisch zu äußern, die beispielsweise nicht wählen dürfen. Hier sind erneut die Jugendlichen wichtig im noch nicht wahlmündigen Alter.

Was bringt der Klimastreik?

Man muss Fridays for Future als politische Druckbewegung verstehen. Das primäre Ziel ist, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, die Politikerinnen und Politiker unter Druck zu setzen und darauf zu achten, dass dieses Thema präsent bleibt sowohl im öffentlichen als auch im politischen Diskurs. Wir können zwischen 2019 und 2021 einen Wechsel der Wahrnehmung von Klimathemen in der Öffentlichkeit beobachten. Das Thema ist allgemein präsenter. Das würde ich als einen Erfolg deklarieren, der nicht nur auf die Fridays for Future zurückgeht, aber auch auf diese Bewegung.

Eine implizite Wirkung ist weiters, dass unter den Protestteilnehmenden die Bereitschaft steigt, ihre Lebens- und Alltagspraxis zu verändern in Bezug auf Nachhaltigkeit und ethische Verhaltensweisen. Das zeigen auch deutlich unsere Daten der qualitativen Umfrage.

Spannend ist, dass Fridays for Future eine Bewegung ist, die bereits im dritten Jahr mobilisiert. Damit entstehen Vergleiche mit der 68er-Bewegung. Wir finden selten Bewegungen, die sich in ihrer lang anhaltenden Dynamik über drei Jahre erstrecken. Es ist auch kein Abflauen der Bewegung in Sicht, dadurch dass die Proteste global koordiniert werden und es angestrebt wird, kontinuierlich zu mobilisieren.

Forschungswerkstatt Protest