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Die Tiefkühltruhe taut ab

Von Alexandra Grass

Wissen
Der Permafrostboden in Sibirien erodiert immer weiter.
© Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Sich erwärmende Permafrostböden in arktischen Regionen und im Hochgebirge werden zur Gefahr für Mensch und Natur.


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Alleine das Wort Permafrost ist aussagekräftig genug, um permanent gefrorene Böden vor Augen zu haben. Doch so aussagekräftig der Begriff selbst auch sein mag, die Dauerhaftigkeit lässt mittlerweile stark zu wünschen übrig. Vielerorts tauen die Böden auf, Seen versickern und unaufhaltsam weichen vom Boden freigelassene Treibhausgase in die Atmosphäre. Diese Entwicklung beobachten Forscher schon seit vielen Jahren. Guido Grosse vom Alfred-Wegener-Institut in Deutschland ist einer von ihnen. Mit dem Erkundungsflugzeug Polar 6 kreist er derzeit über Westalaska, um die Auswirkungen auf Land und Leben zu erkunden. "Die Tiefkühltruhe beginnt, sich zu öffnen", skizziert er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die Lage.

Befindet sich ein Boden über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren unter null Grad Celsius, bezeichnet man ihn als Permafrost. Der Untergrund kann dabei aus Gestein, Sedimenten oder Erde bestehen und unterschiedlich große Eismengen enthalten. Wie in einer riesigen Tiefkühltruhe sind im Permafrost große Mengen abgestorbener Pflanzenreste und Tiere konserviert. Im gefrorenen Boden können Mikroben dieses organische Material nicht abbauen, da Bakterien erst aktiv werden, wenn es taut. Das geschieht allerdings unaufhaltsam - in Alaska, Kanada und in Sibirien sowie im Hochgebirge.

Starke Beschleunigung

Das Polarflugzeug erkundet derzeit Westalaska.
© AWI

Unterschiedlichste Faktoren sind für das Tauen der Böden ausschlaggebend. Dem zugrunde liegt die Klimaerwärmung. So verändert nicht nur die Lufttemperatur die Bodentemperatur, sondern wirken auch Wald- und Tundrabrände, wie sie zuletzt immer wieder aus Sibirien gemeldet wurden, als massive Einflussfaktoren. Die Ursache für die Erwärmung sei allerdings nicht die Hitze des Feuers, sondern die durch die Brände stattfindende Veränderung der Vegetation, erklärt Grosse. Die Flammen zerstören nicht nur die Vegetation, sondern auch die Torfschichten im Boden. Torf fungiert dort als Isolierschicht, um den Permafrost vor der sommerlichen Hitze zu schützen. Die Arktis ist heute trockener und wärmer, auch wird sie immer wieder von Gewittern heimgesucht. Blitzschläge führen auch dort zu den gefürchteten Bränden.

Luftbilddaten, Laserscannerdaten und Satellitenaufnahmen zeugen von den Veränderungen. An Bord von Polar 6 werden sie den Forschern noch deutlicher vor Augen geführt. Grosse kennt die Landschaft von Westalaska schon seit Langem. "In den letzten drei bis vier Jahren hat sich immer klarer und deutlicher gezeigt, dass sich manche der Veränderungen stark beschleunigen", schildert der Permafrost-Forscher. Wiewohl die Beobachtungen "superspannend und erkenntnisreich sind, fängt es jetzt an, ein bisschen erschreckend zu sein."

Guido Grosse ist Leiter der Sektion Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Potsdam. Alfred-Wegener-Institut

Die Veränderungen sind ein natürlicher Prozess und damit auch wieder umkehrbar - allerdings nicht auf menschlichen Zeitskalen, betont Grosse. Eine Trendwende alleine würde schon über Jahrtausende in Anspruch nehmen.

Stöpsel aus der Badewanne

In der Permafrostregion lagern 1.100 bis 1.600 Gigatonnen Kohlenstoff. In der Atmosphäre befinden sich derzeit rund 850 Milliarden. Die kalten Böden dort speichern also fast doppelt so viel wie die Atmosphäre. Ein guter Teil davon ist ganzjährig oder zumindest saisonal gefroren. Wird allerdings durch den Vorgang des Auftauens und der Bodenerwärmung Kohlenstoff aus den Böden freigesetzt, ist das von immenser Bedeutung für das globale Klimasystem.

In den letzten Jahrzehnten hat sich nicht nur die Atmosphäre erwärmt. Auch die Temperatur der oberen Schichten des Permafrosts ist in einigen Gebieten um zwei Grad Celsius gestiegen. Die Grenze des kontinuierlichen Permafrosts läuft so weiter nördlich.

Guido Grosse bei der Arbeit vor Ort.
© AWI

Die Tauvorgänge verändern auch die Seenlandschaft der Permafrostregionen. Millionen an solcher Gewässer erstrecken sich dort. Sie existieren gerade wegen des Permafrost. Er bildet den Untergrund für die Wasserreservoirs - ähnlich einer Badewanne. Taut der Boden jedoch auf - wird also der Stöpsel gezogen -, läuft das Wasser entweder nach unten ins Grundwasser oder seitlich aus. Das bringt starke Veränderungen für die Regionen mit sich. Die Landschaften werden trockener, Habitate sind einem Wandel unterzogen. Das hat Auswirkungen auf bestimmte Tierarten und die Zusammensetzung des Ökosystems, erklärt der Forscher - aber auch für die Menschen vor Ort, die mit Problemen der Infrastruktur und einsinkendem Untergrund konfrontiert sind.

Es sei "mehr und mehr nicht von der Hand zu weisen, dass große Veränderungen stattfinden, und dass diese auch uns in den mittleren Breiten treffen". Grosse fordert die Politik dazu auf, die Problematik nicht nur wahr, sondern auch ernst zu nehmen.

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