Die USA bezeichnen sich mit Recht als Schutzmacht der freien Welt. Dem sollten sie aber auch in ihrer eigenen Justiz endlich Rechnung tragen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Hinrichtung von Troy Davis - trotz nicht ausgeräumter Zweifel an seiner Schuld und zahlreicher Proteste - lenkt die Aufmerksamkeit nicht nur der amerikanischen, sondern der gesamten Weltöffentlichkeit auf das Fortbestehen der Todesstrafe, die in den USA nicht Bundessache, sondern in den einzelnen Teilstaaten unterschiedlich geregelt ist. In 13 Staaten ist immerhin schon die ursprünglich vom Supreme Court generell ausgesetzte Todesstrafe Geschichte, umso bedauerlicher und befremdlicher ist, es, dass sie in den übrigen Staaten wieder beziehungsweise weiter existieren kann und angewendet wird, besonders in den nicht nur in dieser Beziehung besonders rabiaten Südstaaten, deren Gouverneure vom Begnadigungsrecht nur selten Gebrauch machen.
Es ist ein Mangel der Rechtskultur, der als besonders schwerwiegend empfunden wird, weil sich die USA durch ihren Kampf und Sieg gegen und über die totalitären Systeme von Kommunismus und Nationalsozialismus als Hort der Humanität betätigt und sich daher auch mit Recht so gefühlt haben, in der Frage der Todesstrafe aber hinter dem in Europa erkämpften Standard zurückbleiben.
Nicht einmal der gegenwärtige Präsident, der in vieler Hinsicht Neuland betreten hat, hat es gewagt, dieses Thema in seiner Wahlkampagne zum längst fälligen historischen Recht kommen zu lassen, weil eine satte Mehrheit der US-Bürger an dieser barbarischen Form der Justiz festhält. Ein Großteil der Befürworter der Todesstrafe hält sich für gute Christen, obwohl schon im Alten Testament, vom Neuen ganz zu schweigen, Gott von sich sagt: "Mein ist die Rache. Ich will vergelten."
Doch auch in Europa war es ein langer Weg bis zum generellen Verbot der Todesstrafe. Ein Vorkämpfer für die Ächtung und Abschaffung der Todesstrafe, auch im außerordentlichen Verfahren, war der verstorbene Justizminister Christian Broda, dessen Strafrechts- und Familienrechtsreformen in Österreich Bestand haben (was man von den Hochschulreformen seiner Ministerkollegin Hertha Firnberg leider nicht behaupten kann).
Jedenfalls bleibt die weltweite Verbannung der Todesstrafe aus dem Strafrecht ein weltweites Desiderat, das in den USA genau so bereits überwunden sein sollte wie die einstige Sklaverei. Als Schutzmacht der freien Welt, die sie trotz allem noch sind, sollten sie den Ehrgeiz haben, sich nicht von Europa beschämen und überflügeln zu lassen. Auch für die USA sollte der Satz eines Rechtsreformers gelten und Platz greifen: "Du sollst nicht töten, spricht der Denker, nicht nur zum Mörder, auch zum Henker." Denn auch der Mörder, der ein fremdes Leben ausgelöscht hat, hat deshalb noch nicht das Recht auf das eigene verwirkt und kann durch die verbüßte Strafe zu seiner Re-Humanisierung beitragen. Es ist traurig, dass die USA mit ihrer Praxis der Todesstrafe dem Iran als dem Hort der Unmenschlichkeit näher stehen als dem sonst mit ihr in vieler Hinsicht verbundenen und verwandten Europa.
Norbert Leser ist emeritierter Professor für Sozialphilosophie und Präsident des Universitäts-Zentrums für Friedensforschung in Wien.