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Die totale Ungleichheit

Von Reinhard Göweil

Politik

Mittelwert bei Zins-, Dividenden- und Mieteinkünften liegt bei nur 200 Euro jährlich.


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Wien. Dass in Österreich die Vermögen sehr ungleich verteilt sind, ist mittlerweile bekannt. Wie reich die Superreichen aber wirklich sind, zeigt nun eine Studie der Wirtschaftsuniversität, die erstmals gemacht wurde und der "Wiener Zeitung" exklusiv vorliegt. Demnach herrscht bei der Verteilung der Kapitaleinkommen, also jener Einkünfte, die der Rendite des Vermögens entspringen, die totale Ungleichheit. Während der Mittelwert aus Einkommen aus Zinsen, Ausschüttungen (Dividenden) und Mieterträgen in Österreich bei 200 Euro jährlich liegt, erfreut sich das reichste Prozent der Haushalte über monatliche Zuwendungen von knapp mehr als 8000 Euro daraus.

Ein Drittel der oberen Jahres-Einkommen

Etwa ein Drittel des jährlichen Gesamteinkommens der "Superreichen" kommen aus diesem Topf - und verschärfen die bisher bekannte Vermögens-Ungleichheit beträchtlich. Die Studie wurde bei der WU Wien von der Arbeiterkammer in Auftrag gegeben.

Studienautor Mathias Moser vom Institut für Geld- und Finanzpolitik der WU zur "Wiener Zeitung": "Unser Auftrag lautete, den Zuverdienst aus Kapitaleinkommen zu errechnen, und das Ergebnis hat uns in dieser Deutlichkeit überrascht. Es geht klar hervor, dass es bei Kapitaleinkommen keinen Mittelstand in Österreich gibt. 90 Prozent haben keine nennenswerte Kapitaleinkünfte, sie sind auf das oberste Prozent konzentriert." In der Studie heißt es wörtlich: "Ein besonderer Fokus liegt hier auf dem obersten Einkommensperzentil. Das durchschnittliche Einkommen aus Vermögen macht hier ein Drittel des gesamten Primäreinkommens oder etwa 100.000 Euro aus."

Vermögensstudie der Notenbank als Basis

Als Basis wurde die Studie der Nationalbank über die Vermögensverteilung herangezogen, die im Vorjahr für enormes Aufsehen sorgte - und eine politische Debatte um Vermögenssteuern entfachte. "Wir sind überzeugt, dass dies eine konservative Berechnung ist, weil die sehr großen Vermögen im Land nach wie vor statistisch nur unzureichend erfasst sind", erklärt Moser von der WU Wien weiter.

Trotzdem ist die ungleiche Verteilung enorm. Die soziale Balance wird mit dem sogenannten Gini-Index bemessen - benannt nach seinem Erfinder, den italienischen Soziologen Corrado Gini. 0 ist völlige Gleichheit, 1 ist die totale Ungleichheit (einer besitzt alles). Österreichs Gini-Index bei den Kapitaleinkommen wird von den Experten der Wirtschaftsuniversität mit 0,91 berechnet, ein tatsächlich extremer Wert. "Lediglich in den obersten Perzentilen übersteigen die Jahreseinkommen aus Vermögensbesitz ein Niveau, das weitere Einkommensquellen für den Lebensunterhalt entbehrlich macht", heißt es in der WU-Studie.

Sozialversicherungspflicht für Kapitaleinkommen?

Für den Auftraggeber der Studie, den Chefvolkswirt der Arbeiterkammer, Markus Marterbauer, sind die Schlussfolgerungen aus den Studienergebnissen klar: "Kapitaleinkommen sind im Vergleich zum Arbeitseinkommen steuerlich begünstigt und auch nicht sozialversicherungspflichtig. Wir fühlen uns in der Forderung nach vermögensbezogenen Steuern jedenfalls bestärkt." Die Arbeiterkammer kritisiert seit längerem, dass der Sozialstaat praktisch ausschließlich über Steuern und Abgaben der Erwerbseinkommen finanziert wird.

Im Koalitionsübereinkommen von SPÖ und ÖVP findet sich zu Vermögensteuern wenig, die Volkspartei lehnt dies vehement ab. Zwar wird darin "Steuergerechtigkeit" postuliert, doch dies betrifft vor allem die Streichung von Steuerbegünstigungen für Unternehmen. Dem Vernehmen nach hat es bei den Koalitionsverhandlungen in einer Untergruppe zwischen Rot und Schwarz eine Einigung auf die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer gegeben, das Geld sollte für die Pflege-Finanzierung herangezogen werden. Der Punkt wurde aber von der ÖVP-Spitze wieder kassiert, er kommt im Arbeitsprogramm nirgends vor. Vermögenssteuern als Gegenfinanzierung für eine Lohnsteuerreform steht bis auf weiteres nicht auf der Tagesordnung der Regierung.

Die Studienautoren weisen allerdings auf die ungleiche steuerliche Behandlung von Vermögens- und Arbeitseinkommen hin. "Zinserträge aus Sparguthaben und Wertpapieren, Dividenden und Ausschüttungen aus Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Investmentfonds unterliegen der Kapitalertragssteuer von 25 Prozent und sind damit endbesteuert. Auch Einkünfte aus der Veräußerung von Wertpapieren sowie aus Grundstücksveräußerungen unterliegen seit 2012 mit einem festen Satz von 25 Prozent der Wertpapier- und Immobilienertragssteuer." Da dieses Geld vorher erwirtschaftet wurde, ergibt sich inklusive der bei Gewinnen anfallenden Körperschaftssteuer eine Gesamtsteuerbelastung von 44 Prozent, so die WU-Studie.

Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu

"Durch die verringerte Steuerbelastung sowie des größeren Spielraums zur Steuervermeidung von vermögenden Haushalten erfahren diese eine weitere Besserstellung gegenüber vermögensarmen Haushalten", schreiben Moser und seine Co-Autoren.

Die Studie der Universität spricht auch davon, dass sich diese Ungleichheit vor allem in den vergangenen drei Jahrzehnten entwickelt hat, in denen Sozialdemokraten bis auf die Jahre zwischen 2000 und 2006 immer in der Regierung saßen. Und gemäß dem Sprichwort "wo Tauben sind, fliegen Tauben zu" wird in der Arbeiterkammer erwartet, dass das Vermögens-Ungleichgewicht zunimmt, solange das Steuersystem so bleibt.

Aus diesem Grund werden von ihr auch diese Studien in Auftrag gegeben. "Wir wissen über die Verteilung der Gehälter der unselbstständig Beschäftigten sehr genau Bescheid, aber viel zu wenig über den Selbständigen-Bereich, da hier die Daten der Statistik Austria viel allgemeiner gehalten sind", sagt Marterbauer.

Der Großteil der Kapitaleinkünfte im reichsten Prozent der Haushalte entfällt auf Gewinnausschüttungen, danach folgen Einnahmen aus Vermietung und Zinseinkünfte. Je geringer das Vermögen, desto mehr verlagert sich dies auf - freilich viel geringere - Zinsgutschriften. Die Vermögens-Ungleichheit in Österreich ist seit längerem Teil der politischen Auseinandersetzung.

Politik streitet über Vermögenssteuern

Kanzler und SPÖ-Obmann Werner Faymann sagte im Dezember, er wolle weiter für Vermögenssteuer kämpfen, auch wenn diese nicht vereinbart werden konnten. Und genauso deutlich macht die ÖVP klar, dass sie nicht gewillt ist, solchen Steuern zuzustimmen. Ihr Argument: Wenn die Vermögen besteuert werden, sinkt der Anreiz für Unternehmer, zu investieren, dies wäre schädlich für das Wirtschaftswachstum.

Auch die Gewerkschaft geht - aus demselben Grund - eher vorsichtig an das Thema heran, sie verlangte etwa die Anhebung der Vermögenssteuer auf "OECD-Niveau". Dies würde im Vergleich zu den anderen Industriestaaten keine Schlechterstellung der Betriebe bedeuten, so das Argument der Arbeitnehmervertretung.

Bei der Debatte geht es um richtig viel Geld. Eine Studie der Kepler-Universität Linz geht davon aus, dass das Nettovermögen der österreichischen Haushalte bei 1249 Milliarden Euro liegt. Die reichsten zehn Prozent besitzen davon 69 Prozent, während die ärmsten 50 Prozent gerade einmal auf 2,2 Prozent des Gesamtvermögens kommen.

Weltbank sorgt sich um soziale Stabilität

Und die Weltbank kam zum Schluss, dass bei extremen Ungleichheiten in Volkswirtschaften nicht nur die Stabilität der Gesellschaft leidet, sondern auch die Produktivität sinkt. Als Beispiel wird von Ökonomen Spanien genannt, das extreme Unterschiede zwischen Arm und Reich kennt.

Die große Spreizung in den Vermögensbeständen auch in Österreich ist der Hauptgrund, warum bei den Kapitaleinkommen die Ungleichheit noch ausgeprägter ist. Wer es sich leisten kann, ein Zinshaus zu kaufen, wird daraus normalerweise eine höhere Rendite herausschlagen können als jemand, der nur über ein spärlich gefülltes Sparbuch verfügt.

Der Großteil der "mittleren Vermögen" in Österreich entfällt auf Einfamilienhäuser, die jeweils selbst bewohnt werden. Aus diesem Grund will die SPÖ bei der Vermögenssteuer eine Freigrenze von einer Million Euro einführen. Die Volkspartei ist strikt gegen jede Substanzbesteuerung und traut den Sozialdemokraten dabei nicht über dem Weg.

Budgetziel 2016 soll unbedingt erreicht werden

Angesichts der aber von der Regierung angedachten Reduzierung des Eingangssteuersatzes bei der Lohnsteuer von jetzt 36 in Richtung 25 Prozent stellt sich allerdings die Frage der Gegenfinanzierung. Da die großen Ausgabenblöcke bis 2016 festgezurrt sind, sind bei Budgeteinsparungen kaum große Würfe möglich.

Die Steuererhöhungen bei Normverbrauchsabgabe, Tabak- und Sektsteuer, die bereits im März kommen sollen, zeigen auch, dass die Regierung ihr Ziel, 2016 ein Budgetdefizit von nur noch 0,45 Prozent aufzuweisen, unbedingt erreichen will.