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Die Totgesagte lebte länger

Von Andrea Reisner

Wie sich die "Wiener Zeitung" gegen Widrigkeiten wie Zensur, Willkür oder Gier wehrte und 319 Jahre alt wurde.


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Es war ein harter Boden, auf dem unser Blatt vor 319 Jahren gegründet wurde. Als man die erste Ausgabe am 8. August 1703 aus den Druckerpressen hob, war keineswegs gewiss, ob die neue Zeitung die nächsten Jahre überstehen würde. Geschweige denn Jahrhunderte. Doch das tat sie. Bis heute.

Vor welchen Problemen stand der erste Herausgeber, Johann Baptist Schönwetter? Das gravierendste war wohl die unerbittliche Zensur, die damals im Habsburgerreich auf sämtliche Publikationen ein strenges Auge hatte. Es war eine Kunst, mit den teils dürftigen Nachrichten, die gedruckt werden konnten, eine interessante Zeitung zu machen. Gerade das - interessant - musste sie aber sein, um ein zahlendes Publikum anzusprechen.

Das führt zu Schwierigkeit Nummer zwei: Die "Zielgruppe", wie man es heute nennen würde, war sehr überschaubar. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung konnte weder lesen noch schreiben. Es kam demnach nur ein kleiner Kreis gebildeter Leserinnen und Leser in Frage, die sich das damals teure Luxusgut Zeitung überhaupt leisten konnten. Einen Vorteil hatte Schönwetter immerhin: Da in den ersten Jahren des "Wien(n)erischen Diariums" - den Namen "Wiener Zeitung" trägt das Blatt seit 1780 - Krieg herrschte, brannten die Menschen auf Informationen.

Kaiserliche Befehle

Die heiklen Anfangsjahre waren gemeistert, das Medium hatte sich gut etabliert, da drohte Ungemach von allerhöchster Stelle. Kaiser Karl VI. plante ein kostspieliges Bauprojekt: Die Hofbibliothek (nun Nationalbibliothek) samt Prunksaal. Woher das Geld nehmen? Ganz einfach: Der Regent beschloss kurzerhand, alle Gazetten des Landes zu besteuern. Schönwetter blieb stur und weigerte sich, die sogenannte Zeitungsarrha zu zahlen. Er verlor daraufhin sein Recht, das "Diarium" herauszugeben.

Ein anderer Buchdrucker kam zum Zug: Johann Peter van Ghelen. Auch er war der Willkür des Herrschers ausgesetzt. Als kluger Unternehmer hatte er nach Übernahme ab 1722 für Verbesserungen des Blattes gesorgt, sodass dieses prächtig gedieh. Doch dann kam der März 1725. Wie aus heiterem Himmel verbot der Kaiser der Zeitung ihre bei der Leserschaft beliebteste Rubrik: eine Liste jener wichtigen Persönlichkeiten, die in der Stadt ankamen oder abreisten - der Klatsch und Tratsch von anno dazumal. Van Ghelen hatte sich das Exklusivrecht auf diese Informationen gesichert, doch ein absoluter Herrscher hielt sich eben nicht immer an Verträge. Hintergrund dürfte sein, dass damals gerade Geheimverhandlungen mit Spanien in der Donaumetropole stattfanden und Karl VI. größtmögliche Diskretion wollte.

Für das "Diarium" war es ein harter Schlag. Die Leserschaft tobte, kündigte reihenweise Abonnements. Was tun? Van Ghelen entschloss sich zu einem waghalsigen Manöver: Er ließ die erzürnten "Liebhaber" des Blattes (so nannte man die Abonnenten) wissen, wer ihnen das eingebrockt hatte, nämlich der Kaiser mit seinem "Allergnädigst-Allerhöchsten Befehl". So stand es, in der damals typischen Sprache, schwarz auf weiß im "Diarium". Man muss sich ins 18. Jahrhundert hineinversetzen, um die Tragweite dieser Worte abschätzen zu können. Van Ghelen legte sich mit dem Kaiser höchstpersönlich an. Das hätte für ihn und das Blatt böse enden können. Doch es ging gut. Karl VI. reduzierte (aus welchen Gründen auch immer) den Pachtzins, das "Diarium" war gerettet.

Machen wir einen Sprung ins Zeitalter Josephs II. Maria Theresias aufgeklärter Sohn brachte frischen Wind ins Habsburgerreich - endlich war (zumindest vorübergehend) relativ freie Meinungsäußerung möglich. Die Zeitungen atmeten auf. Alle? Fast alle. Die "Wiener Zeitung" war die einzige Gazette, der Joseph II. keine Freiheiten zugestand, ja im Gegenteil. Ausgerechnet unter dem Reformkaiser stand sie unter strenger Aufsicht der Obrigkeit und musste als deren Verlautbarungsorgan dienen.

Metternichs Schikane

Wirklich düstere Zeiten brachen in der Ära Metternichs an. Der Staatsmann wollte die "Wiener Zeitung" komplett eliminieren. Schließlich bedeutete sie lästige Konkurrenz für sein 1810 gegründetes Privatblatt "Oesterreichischer Beobachter". Also drangsalierte Metternich die "Wiener Zeitung" und ihre Macher, wo es nur ging. Conrad Dominik Bartsch, verdienstvoller (Chef-)Redakteur, wurde regelmäßig von der Polizeihofstelle abgemahnt, wenn er in ihren Augen unbotmäßig handelte. Auch lieferte man unserem Blatt offizielle Informationen zu spät, damit der "Beobachter" sie früher publizieren konnte. Und das, obwohl der "WZ" eigentlich Exklusivrechte darauf zustanden. Als größten Affront empfand Bartsch die Aufforderung, einen Bericht aus dem "Beobachter" nachzudrucken. "Noch niemahls ist dieses geschehen", beschwerte er sich per Brief, "noch nie ist es von uns verlangt worden: es ist auch wohl keine tiefere Herabwürdigung der Wiener Zeitung denkbar."

Bekanntlich ging Metternichs Plan nicht auf. Mit drei amtlichen Zeilen triumphierte die "WZ" - und mit ihr jubelten die Massen - am 14. März 1848: "Der geheime Haus-, Hof- und Staats-Kanzler Fürst v. Metternich hat seine Stelle in die Hände Sr. (= Seiner) Majestät des Kaisers niedergelegt." Fürst "Mitternacht" musste gehen. Die "Wiener Zeitung" blieb.

Ausgestaltet - ausgeschaltet

Lassen wir die Krisen rund um die Verstaatlichung der bis dahin privaten "WZ" 1857 vorerst beiseite (dazu ist ein eigener Beitrag geplant) und begeben uns ins 20. Jahrhundert. Der Kaiser war längst Geschichte, die einst kaiserliche Zeitung nun das Blatt der Republik. Die Papierpreise waren hoch, die Umstände mehr als schwierig, aber an seiner Zeitung hielt der praktisch bankrotte Staat fest. Das traditionsreiche Stück Österreich, schon damals ein Kulturgut mit großer Geschichte, ließ man sich nicht nehmen. Der Umfang musste allerdings stark reduziert werden. Aber immer noch wirkte die Ära Friedrich Uhls, Chefredakteur 1872 bis 1900, nach. Dieser hatte das Feuilleton ausgebaut und das Blatt zu einem bedeutenden Kulturorgan gemacht.

In diesem Sinne führte es nun der Uhl-Schüler Rudolf Holzer fort. Im Frühjahr 1933 wurde der feinsinnige Literat zu Kanzler Engelbert Dollfuß zitiert. Man habe große Pläne für die "WZ", sie solle "ausgestaltet" werden - zum Propagandaorgan des Regimes. Holzer musste seinen Hut nehmen. Ab nun wurde nicht mehr recherchiert, sondern diktiert. Im politischen Teil sah es entsprechend traurig aus. Für Journalismus war kein Platz mehr. Doch das galt nicht für das ganze Blatt. Im Feuilleton, geleitet von Edwin Rollett, herrschte gerade damals Freiheit. So erinnerte sich der Autor und Komponist Ernst Krenek später begeistert, dass er hier schreiben konnte, was keine andere Zeitung aus Angst vor Zensur zu drucken wagte, sogar ein Lob des marxistischen Philosophen Ernst Bloch.

Als Adolf Hitlers Truppen einmarschierten, waren die Tage der "WZ" gezählt - vorerst. Einerseits galt sie als urösterreichisches Symbol. Andererseits schielte man auf die Einnahmen aus den Pflichtveröffentlichungen. Der redaktionelle Teil wurde 1939 gestrichen, das Amtsblatt im Februar 1940. Holzer musste einen Abschiedsartikel verfassen. "Nach 237-jährigem Bestande", schrieb er tieftraurig, "tritt die ,Wiener Zeitung‘ in das Schattenreich, in dem die Menschen, Geschehnisse und Begriffe, die ihre Bände einst erfüllten, bereits versammelt sind."

1945 setzte man alles daran, sie trotz widrigster Umstände - die Redaktion in Trümmern, die Druckmaschine zerstört - wieder zum Leben zu erwecken. Es war jede Mühe wert. Denn was wäre die Republik Österreich ohne ihre "Wiener Zeitung"?