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Die transatlantische Krise - eine Chance für die europäische Emanzipation

Von Gerald Mader

Europaarchiv

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Die Weigerung Europäischer Staaten, den von der USA geplanten Krieg gegen den Irak zu unterstützen, hat zu einer Krise sowohl der transatlantischen Beziehungen als auch der NATO geführt. Aber es gibt nicht nur einen Riss im atlantischen Bündnis, sondern auch eine Spaltung innerhalb der EU, da einzelne Mitgliedsstaaten der EU die transatlantischen Beziehungen über die Loyalität zur EU stellen. An dieser Entwicklung ist die Bush Administration nicht unbeteiligt, deren Think Tanks in einem integrierten Europa neben China die künftigen Konkurrenten der USA sehen.

Die meisten Kommentatoren sehen im Riss des transatlantischen Bündnisses eine negative Entwicklung, weil sie davon ausgehen, dass Europa stärker auf die USA angewiesen ist als umgekehrt. Ohne auf dieses Argument näher einzugehen, ist realistischerweise davon auszugehen, dass die Interessensgegensätze zwischen USA und Europa eher zunehmen als abnehmen werden. Das ist weder eine Tragödie, noch der Untergang des Abendlandes. Daher sollte man über diese Entwicklung weniger jammern und wehklagen, sondern mehr die Chancen sehen und wahrnehmen, die mit jeder Krise verbunden sind, die sich konkret für Europa aus den veränderten Beziehungen ergeben.

Die bisherigen Beziehungen zwischen USA und Europa waren keine echten Partnerschaften, sondern Europa hatte einen Vasallenstatus, wie dies von namhaften Politologen überzeugend beschrieben wurde. Die Krise der amerikanisch/europäischen Beziehungen bietet daher die Chance, die Beendigung dieses Vasallentums in Angriff zu nehmen. Wer sich ehrlich zum europäischen Projekt bekennt, sollte diese Emanzipation Europas von den USA unterstützen, sollte der europäischen Loyalität den Vorrang über die transatlantischen Beziehungen einräumen. Die Partnerschaft zwischen USA und Europa ist schon in Hinblick auf die engen wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen für beide Seiten vorteilhaft, welche die Politik nicht beseitigen kann. Ihre Aufrechterhaltung liegt daher im beiderseitigen Interesse, aber es muss eine kooperative Partnerschaft sein, die nicht auf Unterwerfung, sondern auf Gleichberechtigung, auf einem gemeinsamen Dialog und auf gemeinsamen Entscheidungen beruht, was eine unterschiedliche Sicherheitspolitik nicht ausschließt.

Die enormen Herausforderungen, die mit einer kreativen Emanzipation verbunden sind, sind gleichzeitig die Chance für eine europäische Aventgarde, mit viel Engagement und Kreativität den geistigen Stillstand zu beenden, zu dem das bequeme Vasallentum verführt hat.

Die amerikanische Sicherheitspolitik - ein Modell der Vergangenheit

Die Kluft, die sich zwischen USA und Europa aufgetan hat, hat ihre Ursache nicht nur in ihren Interessensgegensätzen, sondern auch in einem unterschiedlichen Politikverständnis. Der Irak-Konflikt ist ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich z.B. die Kriegsneigung der USA und der Europäer ist. Diese unterschiedliche Mentalität, die mit geschichtlichen Erfahrungen zusammenhängt, wurde durch die neue Sicherheitsdoktrin der USA noch zugespitzt, mit welcher die USA das Recht in Anspruch nehmen, auch ohne UNO Mandat jeden Krieg gegen Staaten zu führen, die sie als Schurkenstaaten etikettieren, wodurch UNO, Völkerrecht und NATO marginalisiert werden.

Die neue Sicherheitsstrategie der USA ist eine Sicherheitspolitik der Vergangenheit, welche durch Hightech Überrüstung die Gefahr der Selbstzerstörung in sich trägt. Sie geht davon aus, dass man stark und überlegen sein muss, um sich sicher fühlen zu können. Nach dieser Ideologie der Sicherheit durch Stärke haben seit Thukydides Zeiten alle Mächtigen ihre Kriege legitimiert und propagiert. Ihre Maxime ist noch immer "si vis pacem, para bellum". Die theoretische Grundlage bildet die sogenannte Schule des Realismus. Diese Sicherheitspolitik, die mit dem Einsatz von Militär-macht nationale Interessen durchsetzen will, ist anachronistisch, da sich die großen Probleme des 21. Jahrhunderts weder militärisch noch unilateral lösen lassen. Sie ist aber Realität und stellt den Mainstream der internationalen Politik dar, welche durch die neue Sicherheitsdoktrin der USA eine perverse Überspitzung erfuhr. Die amerikanische Sicherheitspolitik beruht nicht auf konkreten, sondern auf vagen, diffusen Bedrohungen und paranoiden Ängsten, welche der Terrorismus schürt. Die Verteidigung orientiert sich an der Rüstungspolitik und nicht umgekehrt.

Paradigmenwechsel der Sicherheitspolitik - eine realistische Utopie?

Die europäische Emanzipation und eine europäische Souveränität machen nur dann einen Sinn, wenn die EU nicht versucht, diese Sicherheitspolitik der USA, die auf eine nicht zu erreichende absolute Sicherheit abzielt, nachzuahmen und auf den permanenten Rüstungszug der USA aufzuspringen. Aufgabe der EU müsste es vielmehr sein, ein Gegenkonzept für einen anderen Politikentwurf zu entwickeln, einen Paradigmenwechsel der Sicherheitspolitik in Gang zu setzen und diese andere Politik im Verhältnis zum Rest der Welt glaubwürdig und ohne Doppelmoral zu praktizieren. Jeder Angriffskrieg ist kriminell und der Krieg darf nicht länger ein Mittel der Politik sein. Das Ziel einer europäischen Politik sollte eine friedenspolitische Sicherheitspolitik sein, deren Schwerpunkte nicht militärische, sondern zivile Ressourcen und die zivile Lösung von Konflikten sind. In militärischer Hinsicht sollte sich die EU auf die Verteidigung des eigenen Territoriums, die eigene Souveränität und auf die Mitwirkung auf ein vom Sicherheitsrat mandatiertes Krisenmanagement beschränken. Die EU könnte mit einem solchen europäischen Modell unter Beweis stellen, dass ein neutrales Europa, das sich vom exzessiven Rüstungszug abkoppelt, und verstärkt auf Zivilmacht und nachhaltige Entwicklungspolitik setzt, sehr wohl eine Rolle in der Welt spielen kann, ohne Gefahr zu laufen von einem anderen Staat überfallen zu werden. Das Risiko, das von der perversen Hightech Rüstung droht, ist jedenfalls größer.

Die europäischen Staaten sollten daher das Entstehen einer selbständigen europäischen Sicherheitspolitik fördern, welche Frieden und Stabilität nicht durch eine paranoide Rüstungspolitik, sondern durch eine weltweite und kontrollierte Abrüstungspolitik und durch eine Politik mit friedlichen Mitteln sichern will.

Illusion oder Vision? Die Bush Administration hat die Entwicklung der europäischen Emanzipation beschleunigt. Ob sie im Namen einer alten oder neuen Sicherheitspolitik erfolgt, wird an den Europäern und ihren politischen Eliten liegen. Der Fall Schröder zeigt, dass Wunder möglich sind.