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Die Transparenz-Deadline

Von Patrick Krammer

Politik

Karoline Edtstadler glaubt an ein Aus des Amtsgeheimnisses bis 2024. Die Chance darauf verringert sich schon viel früher.


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Die Legislaturperiode dauert noch ein bisschen aber ich bin überzeugt, dass wir es innerhalb dieser Zeit schaffen", meinte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Mittwoch auf die Frage von Jörg Leichtfried (SPÖ), wann man denn jetzt mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) rechnen dürfe. Die Legislaturperiode endet im Oktober 2024, bis dahin soll, wenn es nach der zuständigen Ministerin geht, die lang versprochene Abschaffung des Amtsgeheimnisses erfolgen. Über dem tatsächlichen Gelingen dieses Vorhabens schweben aber viele Fragezeichen - manche davon scheinen nicht einmal den politischen Verantwortlichen bewusst zu sein.

Das Unterfangen könnte von der Landtagswahl in Niederösterreich erheblich erschwert werden. Oder genauer gesagt: von den Auswirkungen der Landtagswahl in Niederösterreich. Schneidet die ÖVP dort schlecht ab, könnten die Regierungsparteien ihre Mehrheit im Bundesrat verlieren.

Informationsfreiheitsgesetz braucht Zweidrittelmehrheit

Spätestens hier beginnen die Rechenspiele: Derzeit gibt es in der Länderkammer eine hauchdünne türkis-grüne Mehrheit von einem einzigen Mandat. Zusammen mit den blauen Mandataren hat die Regierung eine Zweidrittelmehrheit. Geht dieses eine Mandat an SPÖ, FPÖ oder Neos, hat die Opposition hier eine Majorität, mit der sie jedes Gesetz verzögern kann.

Im Fall des Informationsfreiheitsgesetzes hat der Bundesrat aber nicht nur eine Verzögerungsmöglichkeit, sondern kann es sogar gänzlich blockieren, sagt der Föderalismusexperte Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck. "Der Bundesrat kann das Gesetz komplett blockieren. Das Informationsfreiheitsgesetz braucht Verfassungsmehrheit, wenn man die Länder und Gemeinden miteinbeziehen will." Und weiter: "Das heißt, man braucht sowohl eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat als auch im Bundesrat, weil in Länderkompetenzen eingegriffen wird." Generell braucht es für das Ende des Amtsgeheimnisses eine Zweidrittelmehrheit, weil die Amtsverschwiegenheit in Österreich im Verfassungsrang steht.

Mit einem Mehrheitsverlust im Bundesrat würde die Umsetzung des IFG, das Türkis-Grün seit zwei Jahren nicht auf den Boden bringt, noch komplizierter werden. Im für die Bundesregierung ungünstigsten Fall verliert die ÖVP nach der Landtagswahl in Niederösterreich ein Mandat an die SPÖ. Dann müsste die Regierung nicht nur die FPÖ überzeugen, sondern auch den einzigen Neos-Mandatar Karl-Arthur Arlamovsky.

Machtpolitisch ist das nicht uninteressant: Die Opposition könnte sich damit ihre Zustimmung teuer erkaufen lassen, Aspekte ins Gesetz hinein- oder wieder herausjunktimieren. So eine Situation gab es schon einmal 2019, als die SPÖ mit 21 Mandaten eine Zweidrittelmehrheit verhindern konnte. Damals blockierten die Roten im Bundesrat die Ökostromnovelle der türkis-blauen Regierung, die im Nationalrat zusammen die benötigten Stimmen hatte.

Bundesratbesetzung von Landtagsmandaten abhängig

Niederösterreich ist das Bundesland, das mit zwölf Bundesräten die meisten Mandatare stellt, sie werden von ÖVP (7), SPÖ (3) und FPÖ (2) besetzt. Aus Umfragen mögliche Mandatswechsel abzulesen zu versuchen, wäre "reines Kaffeesudlesen", sagt die niederösterreichische Landtagsdirektion zur "Wiener Zeitung". Nach einer Wahl wird mit dem sogenannten D’Hondt-Verfahren berechnet, wie die Mandate aus dem Wahlergebnis heraus verteilt werden. Dabei kommt es nicht nur auf die Ergebnisse einer Partei an, sondern auch auf das Verhältnis der Parteien zueinander. Die zwölf niederösterreichischen Bundesratsplätze hängen somit von den Mandaten im Landtag ab. Derzeit hat die ÖVP 29 und müsste mindestens drei Mandate verlieren, damit sich das auch auf die Mehrheit im Bundesrat auswirkt.

Bund könnte sich selbststrengere Regeln geben

Bußjäger wies im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" darauf hin, dass die türkis-grüne Regierung eine Bundesratsblockade umgehen könnte, indem sie ein einfaches Gesetz beschließt. Dann wäre das Amtsgeheimnis auf Bundesebene abgeschafft, würde für Länder und Gemeinden aber weiterhin gelten. Regeln für Ministerien könnten dann ohne Mehrheit im Bundesrat beschlossen werden. Ein Veto hätte nur eine aufschiebende Wirkung. "Wenn die Abschaffung des Amtsgeheimnisses nur für die Bundesverwaltung gelten soll, reicht eine einfache Mehrheit", so Bußjäger. Diese Mindestvariante forderten NGOs und das Anti-Korruptionsvolksbegehren schon im Mai dieses Jahres, sollten sich Länder und Gemeinden auch weiterhin gegen das Gesetz stellen.

Das Büro von Verfassungsministerin Edtstadler wollte zu alldem nichts sagen. Derzeit würden noch Gespräche laufen, man werde "dann zur gegebenen Zeit die nächsten Schritte kommunizieren", hieß es auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Auch die Stadt Wien wusste nichts von neuen Vorschlägen, die zu einem Konsens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden führen könnten. Während Edtstadler und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) Gespräche mit der Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung geführt haben, stehen Gespräche mit Transparenz-NGOs noch aus. Die sollen laut Edtstadler noch vor Weihnachten stattfinden. Will man das Informationsfreiheitsgesetz beschließen, bevor der Bundesrat ein zusätzliches Hindernis werden könnte, hat man ohnehin nicht mehr viel Zeit: Spätestens am 14. April 2023 müssen die neuen Bundesräte angelobt werden.