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Die Trennlinie zwischen Konservativen und Populisten befragen

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Der Fall Orban zwingt zur Klarstellung.


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Diese Woche ist etwas Entscheidendes aufgebrochen. Diese Woche wurde die Linie, die Konservative von Rechtspopulisten trennt, befragt - eine Linie, die in letzter Zeit zunehmend verschwommen wurde.

Verschwommen ist diese Unterscheidung in Bezug auf die Migrationsfrage. Im Ton waren die Konservativen höflicher, in der Sache aber immer deckungsgleicher mit den Populisten. Das ist bei der regierenden Koalition in Österreich nicht anders als etwa bei Horst Seehofer in Deutschland (wobei dieser auch im Tonfall nachzog).

Aufgebrochen ist die Frage nach dem Unterschied aber nun wegen Viktor Orban. Der ungarische Premierminister ist in diesem Zusammenhang ein doppelter Sonderfall. Zum einen hat er das neue autoritäre Modell, jenes einer illiberalen Demokratie, durchgesetzt. Zum anderen aber ist ebendieser Orban Teil der europäischen Konservativen, der EVP.

Nun hat das EU-Parlament mit großer Mehrheit für die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gestimmt. Gleichzeitig damit wird aber auch die Mitgliedschaft von Fidesz bei der EVP diskutiert - also die Frage: Wo gehört Fidesz hin? Sind das noch Konservative? Oder schon Rechtspopulisten?

Jan-Werner Müller hat in einem äußerst luziden Beitrag in der "Süddeutschen" die Differenzen zwischen beiden Richtungen benannt. Wesentlich dabei wäre die Unterscheidung zwischen "national-christlichem" Kulturkampf und christlichem Handeln. Denn genau an dem Punkt, an der identitätspolitischen Ausrichtung - nicht: Was glaubt man?, sondern: Wo gehört man hin? - begann die Differenz zu verschwimmen.

Wo dieser Unterschied aber aufrecht bleibt, hat sich diese Woche in aller Klarheit gezeigt: beim Verhältnis zu den demokratischen Institutionen. Populismus zielt darauf, diese zu untergraben. Das hat Orban in seiner Rede vor dem EU-Parlament noch einmal deutlich vorgeführt, wo er "das" Volk gegen die EU in Stellung gebracht hat. Eilfertig sekundiert von Harald Vilimsky, dem die EU ein "Brüsseler Diktat" ist, dem gegenüber man sich als Freiheitskämpfer, als "Held Europas" (sprich: als Held gegen Europa) gerieren kann. Es ist dieses typische Aushöhlen der Institutionen, das Untergraben ihrer Legitimität, das so bedrohlich für die Demokratie ist. Die Demokratie ist eine heikle, eine verwundbare Gesellschaftsordnung. Sie ist existenziell auf die Legitimität ihrer Institutionen angewiesen. Legitimität aber bedeutet, dass die Leute an diese Institutionen, an deren Rechtmäßigkeit glauben.

Sebastian Kurz hat da die Bremse gezogen. EVP-Chef Manfred Weber ebenfalls. Sie haben für ein Disziplinarverfahren gegen Ungarn gestimmt. Wenn in Ungarn aber eine "systemische Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit" im Raum steht - wie kann Fidesz dann in der EVP bleiben? Diese Frage aber ist die zentrale Frage. Nicht nur, weil ein Ausschluss Orban schwächen würde. Sondern auch und vor allem, weil ein solcher das Profil, die Positionierung der EVP bestärken würde. Weil er die Abgrenzungslinie der Konservativen zum Rechtspopulismus befestigen würde. Die Festigkeit dieser Trennlinie aber ist zentral für die Zukunft Europas. Ebenso wie deren Verschwimmen eine andere Zukunft bedeutet.