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Die trügerische Sicherheit der Orthodoxie

Von Walter Hämmerle

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Heute startet das EU-Austritts-Volksbegehren. Ein paar Pro-Argumente für die EU würden nicht schaden.


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Ein anderes Österreich ist möglich. Ohne Krisen-Euro, ohne Pflichtmitgliedschaft im Atomkraft-Förderverein Euratom, ohne Milliardenhaftungen für Banken und Griechenland, ohne neoliberale Handelsverträge
à la TTIP, Ceta & Co. Dafür endlich wieder Grenzkontrollen, staufreie Alpenpässe und die "immerwährende Neutralität".

Das ist, grob gesprochen, die Argumentationslinie des EU-Austritts-Volksbegehrens, das ab heute, Mittwoch, für eine Woche in den Gemeinde- und Bezirksämtern zur Unterschrift aufliegt.

Natürlich ist das in weiten Teilen pures Wunschdenken, getragen von der Sehnsucht nach den guten alten Tagen, als noch alles seine Ordnung hatte. Viel wahrscheinlicher ist, dass die goldenen Zeiten des europäischen Klein- und Mittelstaats eher endgültig als vorübergehend vorbei sind. Und mehr als drei Jahrzehnte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat diese Ära ohnehin nicht gedauert.

Doch das ist eigentlich nicht der Punkt. Das Problem ist ein Diskursklima, welches dazu neigt, bestimmte politische Positionen als alternativlos, quasi naturgegeben, darzustellen. Das ist Gift für die Politik, immerhin lebt die - in Demokratien zumal - von der Wahl zwischen verschiedenen Optionen.

Die Klage ist natürlich alles andere als neu. Noch jede Orthodoxie, das griechische Wort für Rechtgläubigkeit, hat sich nach Kräften bemüht, die Vertreter der Häresie, die einen anderen Standpunkt einnehmen, mehr oder weniger umgänglich zum Schweigen zu bringen.

Das ist erklärtermaßen kein Plädoyer dafür, offensichtlich unsinnige Forderungen durch Einlass in die politische Diskursarena zu adeln. Wer die Erde für eine Scheibe, die Evolution für eine Verschwörung und die Freimaurer für die heimlichen Herrscher der Welt halten will, kann dies gerne tun. Man muss die Mitmenschen nicht unbedingt damit belästigen.

Sehr viel spricht dafür, dass Österreich in der EU mehr profitiert als außerhalb der Union. Eigentlich fast alles, aber eben doch nicht alles. Ein Leben außerhalb der EU ist möglich, das zeigen die Schweiz, Liechtenstein, Island oder Norwegen. Und Großbritannien dekliniert gerade für sich die Vor- und Nachteile durch, um demnächst in einer Volksabstimmung über den Verbleib in der Union zu entscheiden.

Der Status quo ist immer eine trügerische Sache - schließlich sind, wie man in Wien sagt, auch schon Hausbesitzer gestorben und Häresien zur neuen Orthodoxie aufgestiegen. Auch der europäische Integrationsprozess ist nicht so unumkehrbar, wie die aktuelle politische Orthodoxie gerne glauben würde. Links, rechts und sogar in der Mitte rumort und brodelt es.

In der postmodernen Demokratie gibt es dank der neuen Kommunikationstechnologien keine politische Orthodoxie mehr, die sich vor grundsätzlicher Infragestellung sicher fühlen kann. Wer deshalb glaubt, dass der eingeschlagene politische Weg grosso modo fortgesetzt werden soll, täte gut daran, seinen Standpunkt mit belastbaren Argumenten und gesunder Emotionalität auszustatten. Sonst könnte es sein, dass er auf verlorenem Posten wieder aufwacht. In der Politik gibt es immer Alternativen, den Ausschlag sollte die Überzeugungskraft der Argumente geben.