)
In den drei Jahren seiner Präsidentschaft hat Wladimir Putin durch seine Personalpolitik schwerwiegende Weichenstellungen in der Zusammensetzung der politischen Eliten in Russland vorgenommen. In den "Korridoren der Macht" tummeln sich mehr als je zuvor Angehörige des Militärs, der Polizei, des Innenministeriums und Geheimdienste.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Repräsentanten dieser neuen politischen Klasse werden nach dem sowjetischen Geheimdienst der ersten Jahre der kommunistischen Herrschaft, der "Tscheka", folgerichtig "Tschekisten" genannt. Ihnen haftet, obwohl das historisch nicht aufrecht zu erhalten ist, weniger Blutgeruch an als dem Stalin`schen NKWD und dem nachfolgenden KGB. Diese "Tschekisten" also sind heute die wichtigsten Frontmänner des Systems Putin, der damit - anders als sein Vorgänger Jelzin, der oft auch auf "raznoschintsy", also Unerfahrene, ins Zentrum der Macht berief - auf Profis aus einem ganz bestimmten Bereichen setzt. Und das betrifft nicht nur die inneren Zirkel der Exekutive, also der Regierung und des Präsidialamtes, sondern ist inzwischen auch auf die mittleren und unteren Ebenen durchgesickert und hat auch die Legislative, die Provinzen und die Wirtschaft erfasst.
Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Der stellvertretende Innenminister, Generaloberst Wladimir Wasiljew, wird bei den kommenden Parlamentswahlen im Dezember im Distrikt Tver kandidieren. Das war den russischen Medien nur noch ein paar müde Zeilen wert, zu sehr hat man sich bereits daran gewöhnt, dass auf allen politischen Ebenen "Tschekisten" einziehen.
Auch der Umstand, dass der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Nikolaj Patruschew, allen Ernstes verlangt, seine Organisation solle die Kontrolle über alle noch zu privatisierenden Wirtschaftsunternehmen erhalten, löste keinen Sturm der Entrüstung aus. Hintergrund ist, dass nun auch Unternehmen des sogenannten militärisch-industriellen Komplexes an Investoren verscherbelt werden sollen. Und jenes russische Ministerium, das gegenwärtig die noch staatlich geführten Betriebe verwaltet und letztlich auch dann für die Privatisierung zuständig sein wird, gab offenherzig zu, dass schon jetzt "routinemäßig FSB-Agenten zur Überwachung und Kontrolle der Betriebe" herangezogen würden.
Militarisierung der Eliten
Der Eindruck der "Militarisierung" der Eliten bzw. der Durchsetzung aller wichtigen Positionen mit Personen aus den Geheimdiensten war bisher ein eher diffuser und damit auch durchs hinweg zu argumentieren. Erstaunlicherweise unbehelligt hat aber das Institut für Soziologie bei der Russischen Akademie der Wissenschaften zwischen 2001 und 2003 eine umfangreiche Studie durchführen können, die handfeste Fakten bietet. Analysiert wurden zu diesem Zweck 3.500 Biographien von Mitgliedern der Regierung und des Präsidialamtes (Exekutive) und von beiden Häusern des Parlamentes (Legislative), alle regionalen Eliten (Gouverneure und ihr Stab in den 89 Republiken, Provinzen, Regionen und autonomen Gebieten) sowie auch die wichtigsten Wirtschaftszweige.
Das Ergebnis ist zwar für Russland-Kenner und politisch Interessierte nicht unerwartet, aber überrascht dennoch in seiner Deutlichkeit. Natürlich sind in der engsten Umgebung Putins, in den Schlüsselpositionen des Präsidialamtes, fast ausschließlich entweder Leute aus dem ehemaligen KGB bzw. dem heutigen Inlandsgeheimdienst FSB zu finden oder aber die sogenannten "Petersburger", also Leute, mit den denen der Petersburger Putin während seines politischen Aufstiegs im ehemaligen Leningrad zu tun hatte.
Offiziere in Ministerien
Hohe Offiziere aus Militär und Geheimdiensten haben sich unter Präsident Putin massiv in der Regierung breitgemacht, was zum Teil natürlich durch die erhöhte Anzahl an militärischen, geheimdienstlichen, polizeilichen und strafverfolgenden Ministerien, Agenturen und Organisationen auf Föderationseben zu tun hat. Davon gibt es immerhin mehr als 20.
Sehr auffällig ist, dass sehr viele Spitzenleute in den mit Wirtschaft befassten Ministerien eine militärische oder geheimdienstliche Laufbahn hinter sich haben (was dem Begriff "Kommando-Wirtschaft" einen ganzen neuen Sinn geben würde). Unter den zahlreichen stellvertretenden Ministern (sie sind auf Österreich übertragen etwa den wichtigen Sektionschef in einem Ministerium gleichzusetzen), die zwischen 2000 und 2003 ernannt wurden, ist jeder Dritte ein "Tschekist". Was noch schwerer wiegt, dass diese stellvertretenden Minister, die aus den verschiedenen Unterabteilungen des Inlandsgeheimdienstes FSB kommen, den Status eines "aktiven Reserve-Offiziers" haben. Das heißt nicht nur, dass sie zwei Herren dienen (sie sind berichtspflichtig ihrem Minister, aber auch dem FSB), sondern dass sie auch weiterhin in den Genuss aller Privilegien eines FSB-Offiziers kommen.
Nur ein Beispiel dafür: Wladimir Yakunin, ehemals KGB-Offizier und später Chef der Petersburger Kontrollabteilung des Präsidenten (das ist so ein Zwischending zwischen Geheimdienst und Rechnungshof) war nicht nur stellvertretender Transport-, sondern danach auch erster stellvertretender Eisenbahnminister.
Laut der Studie des Soziologie-Instituts kann die größte Konzentration an "Tschekisten" unter den stellvertretenden Ministern in folgenden Ministerien gefunden werden: Im Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung und Handel, im Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Industrie, im Ministerium für Kommunikation, im Presse- und im Justizministerium.
Provinzen unter Kontrolle
Die zahlenmäßig stärkste "Invasion an Tschekisten" ist aber bei den Bevollmächtigten des Präsidenten in den Provinzen (die zu sieben großen Territorialeinheiten zusammengefasst wurden) festzustellen - da sind es nahezu 70 Prozent des Personalstandes. Denn die Bevollmächtigten haben ja einen eigenen, recht umfangreichen Apparat aufgebaut und sich dabei wiederum Leute geholt, die aus dem Geheimdienst oder dem Militär kamen. Das hat tiefgreifende Konsequenzen, denn waren früher die Leiter der regionalen Sicherheits- und Geheimdienste, die Steuerpolizei, die Generalanwaltschaft usw. de facto unter der Kontrolle des Präsidenten einer Teilrepublik oder des Gouverneurs einer Provinz oder autonomen Region, wird dies nun von den Präsidenten-Bevollmächtigten und ihrem Amt wahrgenommen. Damit haben einerseits die "Provinzkaiser" viel von ihrer (oft selbstherrlichen und missbräuchlich verwendeten) Macht verloren, andererseits wurde damit eines der Grundübel Russlands, dass es seit der Zarenzeit gibt und das auch unter der kommunistischen Herrschaft trotz allen Zentralismus nie beseitigt wurde, an der Wurzel gepackt. Dieses ist in dem berühmten Satz beschrieben: "Russland ist groß und der Zar und Moskau ist weit."
Aber nicht nur die Präsidenten-Bevollmächtigten und ihr Stab sind mehrheitlich "Tschekisten", inzwischen hat sich das auch auf die Republikpräsidenten und Gouverneure selbst ausgedehnt. In den letzten drei Jahren hat sich die Zahl jener Amtsinhaber, die einen militärischen oder geheimdienstlichen Background haben, mehr als verdoppelt. Noch vor wenigen Jahren war ein solcher Background eher hinderlich, um in einer Regionalwahl erfolgreich zu sein. Nach Putins Amtsantritt wurde es aber geradezu "fesch" und begann als ein Vorteil zu gelten. Denn der "einfache Mann" (und die Frau) in der Provinz dachten, wenn einer aus dem Geheimdienst kommt, der kennt dann den Präsidenten vielleicht persönlich oder der Kreml wird ihn zumindest unterstützten und schätzen - und das kann für unser Leben hier in der Provinz nur gut sein.
Ein wenig beachteter, aber sehr wichtiger Aspekt der Putin`schen Personalpolitik ist, dass er nicht nur "Petersburger" und "Tschekisten" in Schlüsselpositionen berufen hat, sondern auch erstaunlich viele Persönlichkeiten aus der Wissenschaft und dem High-Tech-Bereich. Sie scheinen nicht so richtig ins Bild zu passen, bei einer tieferen Analyse aber doch; sie kommen nämlich aus Instituten, Forschungsabteilungen oder Universitäten, die mehr oder minder eng mit dem militärisch-industriellen Komplex verbunden sind. Anders als die richtigen "Tschekisten" versuchen sie aber ihre Verbindungen zu Putin und ihre Tätigkeit als Informanten des KGB bzw. des FSB meist zu verbergen. Nur ein Beispiel dafür: Andrej Fursenko, ehemals stellvertretender Direktor des Physikalisch-Technischen Instituts "Joffe", hat unter anderem nicht nur die Bank "Rossiya" in St. Petersburg in den 90er-Jahren mitbegründet und damit auch wirtschaftliche Kompetenz bewiesen, sondern wurde schließlich erster stellvertretender Minister für Wissenschaft, Technologie und Industrie.
Gefahr für Demokratie
Dass diese Personalpolitik nicht ohne Folgen für die weitere Entwicklung Russlands, seiner Gesellschaft und Wirtschaft bleiben kann, hat die Leiterin der Studie der Akademie der Wissenschaften, Olga Kryschtanowskaya, eingepackt in einige vorsichtig relativierende Sätze, dennoch messerscharf herausgearbeitet: "Das militärische Milieu ist von Natur aus autoritär und demokratisches Regieren ist daher ein wesensfremdes Konzept....Die autoritäre Weise des Regierens, wie sie militärischen und sicherheitsdienstlichen Strukturen eignet, könnte durchaus dazu führen, dass es letztendlich in der gesamten Gesellschaft Russlands reproduziert wird."