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Ist eine 100-prozentige Deckung des Stromverbrauches 2030 mit Erneuerbaren möglich?
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Um den entsprechenden Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens und des Ziels der EU, den Bruttoendenergieverbrauch im Jahr 2030 zumindest zu 32 Prozent durch Erneuerbare abzudecken, zu leisten, hat sich die österreichische Bundesregierung ambitionierte Ziele gesetzt, die ihren Niederschlag im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) finden. Im EAG ist verankert, dass der Gesamtstromverbrauch ab dem Jahr 2030 zu 100 Prozent national bilanziell aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden soll.
In konkrete Zahlen gegossen bedeutet das, ausgehend von der Stromproduktion durch Erneuerbare im Jahr 2020, dass diese um 27 Terawattstunden pro Jahr steigen muss. Dies entspricht einer Steigerung um 50 Prozent - somit einer Mammutaufgabe aufgrund des kurzen noch zur Verfügung stehenden Zeitraums (Stichwort Genehmigungsverfahren). Welche Konsequenzen und Aktivitäten sind erforderlich, um diese hochgesteckten Ziele zu erreichen? Und sind diese überhaupt im genannten Umfang erreichbar?
Die Versorgung muss auch unter der Annahme eines Worst-Case-Szenarios (sehr kalte Winterabende zwischen 17 und 20 Uhr) gegeben sein - also auch in einem Zeitraum mit hoher Last in der kalten Jahreszeit wobei verschärfend kaum Wind- und kein Sonnenstrom verfügbar ist. Dieses Szenario wurde von den Universitätsprofessoren Herwig Renner und Robert Schürhuber im Rahmen der 13. Internationalen Energiewirtschaftstagung an der TU Wien abgebildet.
Der äußerst spannende Vortrag hat gezeigt, dass selbst unter einem sehr optimistischen Zugang (im Sinne der Erfüllung der EAG-Ziele) die im EAG verankerte nationale bilanziell 100-prozentige Versorgung mittels Erneuerbaren - somit ohne gasbefeuerte Gaskraftwerke - sowohl hinsichtlich Strommenge als auch erforderlicher Leistung auf dem derzeit eingeschlagenen Pfad nicht erreichbar ist.
Lücken in der Versorgung
Der gewählte Zugang zeigt eine angenommene Verbrauchszunahme von 2021 - also inklusive der durch gasbefeuerte Kraftwerke generierten Strommenge - auf das Jahr 2030 um "lediglich" 20 Prozent. Die neu errichteten Kraftwerke (vor allem Wind, Photovoltaik und Laufwasser) würden zu einer Leistungssteigerung um 50 Prozent führen. Im gewählten äußerst optimistischen (Very-Best-Case-)Szenario wird auch davon ausgegangen, dass keine Bottlenecks im relevanten Stromnetz auftreten, keine außerplanmäßigen Kraftwerksausfälle stattfinden, die Speicherleistungen immer voll verfügbar sind und der Austausch mit den Netzen in den Nachbarländern möglich ist. Und dass es die relevanten Nachbarländer mit der Stromversorgung in Österreich gut meinen.
Trotzdem zeigt sich, dass sowohl hinsichtlich des Leistungsbedarfs (Versorgung der verbrauchsreichsten Viertelstunden im Winter) als auch des gesamten Mengenbedarfs an Strom in einem Jahr Lücken in der Versorgung ab 2030 auftreten würden. Auf den Punkt gebracht: Die Lücken, die durch steuerbare Kraftwerke - konkret Speicher und Pumpspeicher, da ja thermische Kraftwerke dann ausgeschlossen sind - abgedeckt werden müssten, würden dazu führen, dass die Speicher Mitte Jänner leer wären und folglich der Elektrizitätsbedarf ab dann für zwei bis drei Wochen nicht zu 100 Prozent gedeckt werden könnte.
Wenn keine Importe beziehungsweise Exporte stattfänden, was in einem EU-weiten Strommarkt unrealistisch ist, wäre eine Verdreifachung der derzeit geplanten Speicherkapazität übers Jahr erforderlich, also um 6 Terawattstunden mehr. Die geplante Leistung müsste um 2 Gigawatt erhöht werden. Beide Anforderungen enthalten noch keine Reserven.
Abhängig von Nachbarn
Hier drängt sich die Frage auf, wie man diese Barrieren überwinden kann. Renner und Schürhuber schlagen folgende Maßnahmen vor, weisen jedoch gleichzeitig auf die Schwierigkeiten der jeweiligen Maßnahme hin. Erstens könnte man die saisonale Speicherkapazität mittels Wasserstofftechnologie erhöhen - jedoch ist fraglich, ob im Jahr 2030 ausreichend Wasserstoff zur Verfügung stehen wird. Zweitens könnte man versuchen, die Flexibilität im Verbraucherbereich zu nutzen - wobei diese gering ist. Drittens kann man versuchen, ausreichend Import- und Exportkapazitäten zu sichern - das würde aber einen beträchtlichen Ausbau des Übertragungsnetzes nach sich ziehen, und man wäre auf die Verfügbarkeit von Energiequellen im Ausland angewiesen.
Der Ausbau von Übertragungsnetzen ist nicht nur sehr zeitaufwendig (siehe etwa die Erfahrungen mit der Salzburg-Leitung, die nach mehr als zwei Dekaden als innerösterreichische Leitung Ende 2025 oder Anfang 2026 in Betrieb gehen soll) und teuer, sondern man begibt sich möglicherweise in einer Krisensituation wieder in Abhängigkeit eines Nachbarlandes. Aus dem Vortrag wird ersichtlich, dass die Umstellung sämtlicher Sektoren auf CO2-Neutralität - insbesondere zu Zeiten von Dunkelflauten - sehr schwer zu erreichen sein wird.
Es stellt sich die Frage, ob und falls ja, wann und mit welcher Intensität auf diese Situation reagiert wird. Eigentlich sollte man einen proaktiven Zugang wählen. Trotz des Sprichworts "There is no glory for prevention" - immerhin handelt es sich um die Versorgung Österreichs mit einer nicht substituierbaren Commodity. Und es handelt sich um ein schwerwiegendes Standortkriterium.