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Die Tücken des Freihandels

Von Julian Mayr

Wirtschaft
Der argentinische Rinderzüchter Anibal Frete zu Besuch bei österreichischen Kollegen.
© Ernst Zerche

Das EU-Mercosur-Abkommen könnte argentinischen und österreichischen Kleinbauern zum Verhängnis werden.


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Eine grüne Oase inmitten der öden Flächen der Großbetriebe. So beschreibt der junge Bauer Anibal Frete aus Chaco, einer der nördlichen Provinzen Argentiniens, seine kleine Landwirtschaft. Auf seinem Familienbetrieb züchtet er Rinder, ist zugleich technischer Berater und Lehrkraft an einer landwirtschaftlichen Schule. Vor zwei Wochen kam er mit einer Gruppe argentinischer Bauern nach Österreich, um selbst neue Praktiken der Bodenbewirtschaftung hiesiger Kollegen kennenzulernen.

Im Zuge des vom Projekt "Alianza Österreich - Argentinien" geschaffenen Austauschs ging es für die Landwirte aus beiden Ländern aber auch darum, Aufmerksamkeit auf das Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten zu lenken. Geht es nach der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten und der Vertreter der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, soll der seit Jahrzehnten verhandelte Pakt noch dieses Jahr ratifiziert werden. Befürworter - darunter auch die österreichische Industriellenvereinigung - stellen die Abschaffung von Zöllen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und erhöhte Exportzahlen in Aussicht.

Große Profiteure

Kritiker bemängeln mögliche negative Auswirkungen auf Umwelt und Klima und Gegenstimmen ertönen vor allem aus Umweltschutzorganisationen und der Landwirtschaft. Durch den Abschluss, so die Befürchtung familiärer Landwirte wie Anibal, könnte der Druck auf kleinstrukturierte Landwirtschaftsbetriebe auf beiden Seiten erhöht werden.

2021 betrug der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt in Argentinien, Brasilien und Uruguay rund sieben Prozent, in Paraguay waren es sogar mehr als zehn Prozent. Der durchschnittliche Anteil an der Wirtschaftsleistung der EU-Staaten liegt bei unter zwei Prozent, in Österreich bei 1,5 Prozent. Allein das verdeutlicht die unterschiedlich gewichtigen Rollen der Landwirtschaft. Und es erklärt laut Ernesto Staringer, Geschäftsführer von Incupo, einer argentinischen Organisation zur ländlichen und indigenen Entwicklung, warum Staatschefs, wie Brasiliens Präsident Lula da Silva kürzlich bei seiner Reise auf die iberische Halbinsel, auf den Abschluss des Mercosur-EU-Abkommens pochen: "In Argentinien spielen Agro-Konzerne viele Dollar in die Staatskassen. Und das ist derzeit ein wichtiger Faktor für die Stabilität des Landes. Die Regierungen brauchen Geld, und dem wird der Schutz der Umwelt und der Landwirtschaft untergeordnet."

Mit Agrokonzernen meint Staringer, der selbst eine Rinderzucht im nördlichen Corrientes betreibt, vor allem Großbetriebe, die sich durch eine Liberalisierung des Handels zwischen den Mercosur- und EU-Staaten weiter auszubreiten drohen - zuungunsten der kleineren und mittleren Betriebe. "Es kann gut sein, dass ein großer Konzern sich 50.000 Hektar kauft, mein Nachbar wird, alles abholzt und oft minderwertige Handelsgüter anbaut. Sie laugen Böden aus und exportieren unsere Nährstoffe. Wir verlieren Biodiversität, Ökosysteme und auch Gemeinschaft", erläutert Anibal Frete.

Incupo-Geschäftsführer Staringer findet klare Worte: "Das Abkommen wird in Argentinien, Brasilien, Paraguay, und Uruguay dazu führen, dass die Zahl großer Konzerne zunehmen und jene familiärer Betriebe abnehmen wird." Ein Phänomen, dass auch in Österreich bereits seit langem voranschreitet.

Sterben der Kleinen

Die Zahl der kleinstrukturierten Betriebe nahm in Österreich binnen dreißig Jahren deutlich ab. Die Zahl der Betriebe mit einer Fläche von unter fünf Hektar brach um 75 Prozent ein. Auch Betriebe mit einer Größe bis zu 50 Hektar sind seit 1990 weniger geworden. Deutlich zugenommen hat hingegen die Zahl der Betriebe ab einer Größe von fünfzig Hektar.

Eine Entwicklung, die laut dem Steirer Rinderbauern Thomas Lanzer-Breitfuß durch ein Abkommen befeuert werden könnte. In Argentinien könne wesentlich kostengünstiger und großflächiger produziert werden, der Weltmarkpreis sei aber ein und derselbe. Groß ist die Furcht bei hiesigen Bauern vor steigenden südamerikanischen Fleischimporten. "Die Schere ist in den letzten Jahren weiter auseinandergegangen. Wir haben nicht zu wenig Arbeit in der Landwirtschaft, das verdiente Geld ist am Ende zu wenig", meint Lanzer-Breitfuß, der mit seiner Frau einen Familienbetrieb in Bruck an der Mur bewirtschaftet.

Die Alianza fordert ein Nachverhandeln der bereits fixierten Vereinbarungen. "Es ist ein Abkommen zwischen Unternehmern, es müsste aber ein Abkommen zwischen Gesellschaften sein", so Staringer. "Ein Abkommen zulasten der kleinbäuerlichen Betriebe und des Klimaschutzes" würde nicht unterstützt, untermauerte die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler jüngst Österreichs Nein zum Pakt.