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Die Tücken neuer Corona-Varianten

Von Eva Stanzl

Wissen

Coronavirus-Rekombinante aus Österreich; Evolution von Sars-CoV-2 weiterhin sprunghaft.


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Eine neue Rekombinante des Coronavirus ist erstmals in Österreich aufgetreten. In Proben wurde eine zuvor nicht beschriebene Rekombination der Omikron-Varianten BA.2, Treiber der anhaltend hohen Inzidenzphase in Europa, und des Omikron-Originals BA.1, das Ende November Südafrika auftrat, entdeckt. Die neue genetische Zusammensetzung habe sich am Spike-Protein, mit dem das Virus in die Zellen eindringt, gebildet.

"Was wir jetzt in Österreich gefunden haben, ist eine Rekombination von Omikron-BA.2 mit BA.1, Untervariante BA.1.1", informiert der Virologe Andreas Bergthaler, Professor an der Medizinischen Universität Wien. Sein Team führt Corona-Sequenzierungen für Österreich am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durch. Aufgrund der bisherigen Daten würde man bei dieser neuen Zusammensetzung keine markanten Eigenschaftsänderungen erwarten. Daher bestehe kein Grund zur Sorge, dass mit einem schwereren Krankheitsverlauf von Covid-19 zu rechnen sei, entwarnt der Experte.

Grundsätzlich ist bei Erregern wie Sars-CoV-2 zwischen Mutationen und Rekombinationen zu unterscheiden. "Bei Mutationen verändert sich einer der 30.000 genetischen Buchstaben des Virus, indem er gegen einen anderen Buchstaben ausgetauscht wird oder beispielsweise verschwindet. Die Virusvarianten enthalten viele dieser einzelnen Mutationen in ihrem Genom", erklärt Bergthaler. Jedoch gebe es keine klare Grenze, wie viele Mutationen ein Virus haben muss, damit es als neue Variante gilt.

Unter Rekombination versteht man in der Genetik hingegen einen Prozess, bei dem sich Teile des Erbguts neu anordnen, sodass eine veränderte genetische Information entsteht. "Für eine Rekombination müssen zwei Viren-Varianten nicht nur denselben Wirt befallen, sondern auch in dieselbe Zelle eindringen", sagt Bergthaler: "Beides zusammen ist ziemlich unwahrscheinlich, aber bei hohen Infektionszahlen möglich." Am Donnerstag zählte Österreich 232.816 aktive Covid-Fälle.

Sprunghafte Evolution?

Wenn also beide Varianten in der gleichen Zelle ihr Genom vervielfältigen, kann so etwas wie ein Kopierfehler passieren. "Stellen Sie sich eine Kopiermaschine vor, die einen Strang von 30.000 Buchstaben abfährt. Wenn plötzlich ein zweiter Strang vorliegt, kann es passieren, dass die Kopiermaschine unabsichtlich auf den anderen Strang hüpft." Aus den zwei Varianten entsteht eine neue, die Genome verschmelzen. "Coronaviren verändern nicht nur einzelne genetische Buchstaben, sondern können daher auch größere genetische Regionen austauschen", fasst Bergthaler zusammen. Zu den bisher in Großbritannien, Frankreich und Dänemark beschriebenen Sars-CoV-2-Rekombinanten zählen Delta+BA.1 und Delta+BA.2 ("Deltacron") sowie BA.1+BA.2 (Omikron XE). Insbesondere bei Rekombinanten von Omikron gibt es laut dem Experten noch wenig Evidenz für evolutionäre Vorteile und auch keine Hinweise, dass sie den Krankheitsverlauf verändern. Bei der österreichischen Rekombinante handelt es sich den Angaben zufolge um eine Mischung aus BA.2 mit einem fast vollständigen Spike-Protein von BA.1.1.

Mit Blick auf den Herbst veranschaulichen diese Rekombinanten, dass die Evolution von Sars-CoV-2 weiterhin sprunghaft verlaufen kann. Es gebe keine Gewissheit über künftige Varianten, betont Bergthaler. "Wenn uns die Pandemie etwas gelehrt hat, dann, dass sich die Evolution von Sars-CoV-2 nur schwer vorhersehen lässt. Theoretisch ist auch nicht auszuschließen, dass solche Rekombinationen irgendwann zwischen Sars-CoV-2 und einem anderen Coronavirus stattfinden - von harmlosen Schnupfenviren bis zum Mers-Erreger." Die 2012 identifizierte Viren-Spezies, die die Mers-Erkrankung auslöst, kann beim Menschen eine schwere Infektion der Atemwege, Lungenentzündung und Nierenversagen verursachen.

Ein vorausschauendes Pandemiemanagement sollte mögliche Szenarien beinhalten, mögliche Veränderungen am Virus berücksichtigen und dahingehend Pläne entwickeln. Die Szenarienplanung läuft derzeit in vielen Ländern und auch in Österreich. "Es gibt gewichtige wissenschaftliche Gründe zu der Annahme, dass wir mit unserer aufgebauten Immunität immer besser mit Sars-CoV-2 umgehen werden. Gleichzeitig sollten wir aber auf mögliche neue Wendungen des Virus vorbereitet sein.", sagt Bergthaler.

Um schnell einschätzen zu können, wie gefährlich neu auftretende Varianten des Sars-CoV-2-Erregers sind, wurde in den USA ein weitreichendes Expertennetzwerk etabliert.