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Ein Fest für die Demokratie. So bezeichnete Premier Recep Tayyip Erdogan das Ja der Türken zu einer Änderung der Verfassung. Und ähnlich beurteilten viele türkische Medien den Ausgang des Referendums am Sonntag. Als Siegerin der Wahl - wie die Abstimmung oft bezeichnet wurde - sah sich demnach die Regierungspartei AKP; als Verlierer wurde die Opposition gewertet, die teils zu einem Nein, teils zum Boykott des Referendums aufgerufen hatte.
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Genau das gibt ihm einen bitteren Beigeschmack: Das Votum wurde zur innenpolitischen Abrechnung hochstilisiert; das Inhaltliche geriet ins Hintertreffen. Dabei war die Volksabstimmung eine der wichtigsten Entscheidungen für die Türkei in den vergangenen Jahren - auch wenn eine grundlegende Verfassungsänderung noch immer aussteht.
Dennoch sind die 26 Neuregelungen weitreichend. Wäre etwa die zivile Kontrolle über die Armee nicht ausgeweitet worden, könnte die Legitimität des Ergenekon-Prozesses angezweifelt werden. In den Verfahren müssen sich derzeit dutzende Personen - darunter hochrangige Militärs - vor zivilen Richtern verantworten. Den meisten Angeklagten werden Putschpläne und die Mitgliedschaft in einem mafiösen Netzwerk aus Politikern, Armeeangehörigen und Geschäftsleuten vorgeworfen.
Die Änderungen beim Verfassungsgericht wiederum geben auch Bürgern größere Möglichkeiten: Ans Höchstgericht können sich künftig auch Einzelpersonen und nicht nur Parteien wenden. Verfassungsrechtlich gestärkt werden auch Rechte von Frauen oder Kindern.
Dass aber über derart viele unterschiedliche Vorhaben in einem abgestimmt wurde, ist ebenso problematisch wie die Tatsache, dass die Pläne so gut wie gar keine Angebote an die Millionen Kurden im Land beinhalten. Die Dominanz der türkischen Nation, Kultur und Sprache beispielsweise wird weiterhin in der Verfassung betont.
Das Land bleibt gespalten. Türkische stehen kurdischen Nationalisten gegenüber; der wirtschaftlich und sozial vernachlässigte Osten bildet einen Gegenpol zum reicheren Westen; Oppositionelle blicken skeptisch auf AKP-Sympathisanten, denen sie eine schleichende Islamisierung der Republik vorwerfen.
Die Opposition hat nichts getan, diese Polarisierung zu mildern - und die AKP kaum etwas. Vielmehr zeigt sich der Riss durch das Land beim Abstimmungsergebnis 58 zu 42 deutlicher als noch beim Referendum vor drei Jahren. Damals votierten - nach einer weit weniger aufgeregten Kampagne - 69 Prozent der Türken für eine Direktwahl des Präsidenten. Und es ging tatsächlich um diese Frage und nicht um die Regierungspolitik. So mag für Erdogan und seine AKP das Referendum nun ein beachtenswerter Sieg sein. Ein Triumph für die Demokratie hätte es ebenso werden können. Doch das ging im parteipolitischen Hickhack unter.