Ein weiterer Schlag gegen die Demokratie in der Türkei lässt die Angst vor einem Bürgerkrieg wachsen. Die verhaltenen internationalen Reaktionen tragen das ihre dazu bei.
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Eigentlich war es zu erwarten, auch wenn die Menschen die Hoffnung auf den Frieden nicht aufgeben wollten: Tagtäglich erreicht die Gewalt in der Türkei eine neue Stufe. Seit den Parlamentswahlen im Jahr 2015, bei denen die prokurdische Partei auch mit den Stimmen der "westlichen" Türkei einen großen Sieg einfuhr, scheint ein sehr gut durchdachter strategischer Plan gegen die Kurden in der Türkei ausgeführt zu werden.
Nach dem versuchten Putsch im heurigen Sommer, für den die Anhänger von Fethullah Gülen verantwortlich gemacht wurden, blieb die kurdische Bewegung von Rachegelüsten zunächst verschont, doch relativ schnell wendete sich das Blatt auch gegen sie: Kurden, die ewigen Feinde der türkischen Republik. So sehr sich die kurdische Bewegung in der Türkei seit Jahren verändert, umgeformt und ihre Forderungen novelliert hat: Sie ist und bleibt - abgesehen von der kurzen Dauer des Dialogprozesses - nicht akzeptiert.
Versuche, die "Kurdenfrage" der Türkei auf politischer und ziviler Ebene zu lösen, werden seit mehr als einem Jahr permanent verhindert. Nachdem nun fast alle kurdischen Medien verboten und viele der von der prokurdischen Partei HDP besetzten Stadtverwaltungen durch Zwangsverwaltungen ersetzt wurden, wurden in den vergangenen Tagen die Parteichefs sowie mehrere Abgeordnete und Funktionäre der HDP im türkischen Parlament mit dem Vorwurf, die PKK zu unterstützen, verhaftet. Der Wille des kurdischen Volkes und andere demokratischen Kräfte der Türkei, der wohlgemerkt auf demokratischer Ebene Ausdruck fand, wird mit Füßen getreten. Als Reaktion darauf erklärten HDP-Politiker, ihre Mitarbeit im türkischen Parlament einzustellen. Angesichts der großen Repression gegenüber der HDP ist das eine gut nachvollziehbare Reaktion, die freilich möglicherweise sogar dem Wunsch der türkischen Regierung entspricht.
Die Auswirkungen des Boykotts sind im Moment nicht abschätzbar, es ist auch noch unklar, ob die HDP-Parlamentarier ihr Mandat niederlegen. Aber ob die HDP gänzlich verboten wird oder ob sie selber ihre Mandate aufgibt, eines ist klar: Die Türkei hat mit den jüngsten Entwicklungen den letzten Hoffnungsschimmer auf die politische Lösung der Kurdenfrage ausgelöscht.
Dieser letzte Schritt auf dem Weg zur Diktatur war zwar voraussehbar, aber nicht zu verhindern. Das Demokratieversagen und die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei stoßen international oft auf große Kritik. Die klaren Worte des österreichischen Kanzlers und des Außenministers werden aber nichts ändern, solange keine konsequenten und ehrlich gemeinten Schritte seitens der internationalen Politik gegen das undemokratische Vorgehen in der Türkei unternommen werden. Der nächste Krieg im Nahen Osten steht nicht erst vor dem Ausbruch - er hat bereits begonnen, und man sieht ihm tatenlos zu.