)
Der Türkei gehen die Beitrittsverhandlungen mit der EU offensichtlich nicht schnell genug. Sie verlangt dafür ein Zieldatum und macht mit einem eigenen "Fahrplan" Druck. | Am 16. April 2007 legte die Türkei einen eigenen Fahrplan für ihre Annäherung an die Europäische Union (EU) vor, der sie bis zum Jahre 2014 EU-fit machen soll. Das darin enthaltene siebenjährige Arbeitsprogramm soll unabhängig vom weiteren Verlauf der Beitrittsverhandlungen mit der EU realisiert werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es besteht im Wesentlichen aus Gesetzesvorlagen, mit denen - in Form eines sogenannten "autonomen Nachvollzugs" - eine eigenständige Angleichung wesentlicher Teile der türkischen Rechtsordnung an das Gemeinschaftsrecht bewerkstelligt werden soll. Wie der türkische Verhandlungsführer mit der EU, Ali Babacan, betonte, sei es das Ziel der Türkei, das türkische Recht bis Ende 2013 in sämtlichen Bereichen - von der Umwelt über die Energie und den Verkehr bis hin zum Gesundheits- und Verbraucherschutz - den EU-Bestimmungen anzugleichen.
Außenminister Abdullah Gül ging noch einen Schritt weiter und erklärte, dass die türkische Regierung den einmal eingeschlagenen Reformkurs auch dann weiterführen werde, wenn ihr der Beitritt zur EU versagt bleiben sollte. Die Transformation des Landes sei nämlich Selbstzweck und damit unabhängig vom Verlauf und Ausgang der Beitrittsverhandlungen: "Wir öffnen und schließen diese Kapitel für uns selbst", meinte Gül.
Verblüffte Kommission
In ihrer ersten Verblüffung reagierte die Europäische Kommission rein rezeptiv und rang sich einen Tag später zur Aussage durch, dass sie diesen Fahrplan "begrüße". Die Sprecherin der Kommission wies zugleich die Forderung des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan zurück, dass die EU endlich ein fixes Zieldatum für den Beitritt der Türkei vorlegen solle.
Auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ließ durch einen Sprecher verlauten, "dass heute noch nicht der Zeitpunkt gekommen sei, um über ein konkretes Beitrittsdatum zu sprechen". Wie immer man zu dieser Forderung stehen mag, sie spiegelt nur den Frust der Türkei über ihren allzu langen Aufenthalt im "Warteraum" der EU wider.
Im Warteraum der EU
Die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) schloss bereits 1963 ein Assoziationsabkommen mit der Türkei ("Abkommen von Ankara") ab, um diese für einen späteren Beitritt vorzubereiten. 1970 wurde ein Zusatzprotokoll abgeschlossen, das die Errichtung einer Zollunion bis zum Jahre 1995 vorsah. 1980 erließ der Assoziationsrat EWG-Türkei den bekannten Beschluss 1/80, mit dem türkischen Arbeitnehmern in der EWG eine ähnliche Rechtstellung wie freizügigkeitsbegünstigten Wanderarbeitnehmern eingeräumt werden sollte, der in der Praxis aber nur zögernd umgesetzt wurde. Von 1980 bis 1986 war das Assoziationsabkommen wegen der Militärherrschaft in der Türkei suspendiert. 1987 stellte die Türkei einen Beitrittsantrag, der zunächst nicht verhandelt wurde, da die Europäische Gemeinschaft (EG) nur bereit war, mit der Türkei in die Endphase der Zollunion einzutreten, was schließlich 1995 der Fall war. Erst am 3. Oktober 2005 - das heißt über 40 Jahre nach dem Abschluss der Beitrittsassoziation und beinahe 20 Jahre nach dem Stellen des Beitrittsgesuches - kam es zur Aufnahme der offiziellen Beitrittsgespräche mit der Türkei.
Der vom türkischen "Fahrplan" in Aussicht genommene Zeitpunkt 2014 ist mit Bedacht gewählt. Er ist der erste denkmögliche Zeitpunkt für einen Beitritt der Türkei nach dem Ablauf der gegenwärtigen siebenjährigen "Finanziellen Vorausschau 2007-2013". Ein Beitritt der Türkei würde die EU vor allem im Agrar- und Agrarstrukturbereich vor gewaltige finanzielle Herausforderungen stellen.